Die letzten drei Tage die Zweitwohnung meiner Eltern ausgeräumt. Ursprünglich als Zuflucht gedacht (falls „die Russen kommen“ – man wohnte ja in West-Berlin und mein Vater war als 16jähriger in russische Kriegsgefangenschaft geraten, also entsprechend traumatisiert), diente sie den Eltern später als eine Art „Ferienwohnung“ – immer unter der Vorstellung, „als Rentner“ dort hinzuziehen.
Als es dann so weit war, haben sie es aber doch Gott sei Dank vorgezogen, ihren großen Verwandten- und Bekanntenkreis nicht zu verlassen und sind – die Mauer war ja inzwischen gefallen – in Berlin geblieben.
Nach dem Tod meines Vaters ist die Mutter dann nur noch sehr selten, seit einiger Zeit gar nicht mehr dorthin gefahren. Sie hat weiter brav von ihrer kleinen Rente das nicht unerhebliche Wohngeld bezahlt, konnte sie sich doch noch nicht so recht trennen von diesem größtenteils vom Munde abgesparten „Lebenswerk“ (und das ist jetzt nicht despektierlich gemeint, auch wenn es sich vielleicht so anhören mag.)
Nun aber, angesichts der fortschreitenden Gebrechlichkeit kam doch der Wunsch, dies alles aufzugeben, ich den Auftrag noch das eine oder andere zu „retten“.
Und so sitze ich jetzt hier inmitten von Gegenständen, die dem objektiven Betrachter wertlos erscheinen mögen, die aber emotional teilweise extrem aufgeladen sind – und die Oma weint ins Telefon, die Vertreibung aus der Heimat (sie ist im jenseits der Oder aufgewachsen) der Kriegstage wieder vor Augen.
Was bin ich froh, dass meine Tochter mit vor Ort war. Nicht nur, weil sie sehr strukturiert und schnell sortiert und arbeitet, sondern vor allem auch, weil somit vieles an die (über-)nächste Generation weiter gegeben wird.
Gegenständen, aber auch Geschichten und dies ist ein Trost, eine Perspektive.
Nicht nur für die Großmutter.
10 Antworten zu “Übung in Abschied nehmen”
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eine ähnliche veranstaltung findet derzeit bei mir im haus statt, nur das es in diesem fall keine übung mehr ist. von daher:
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Seufz.
Ja, ich bin irgendwie auch, naja, dankbar – zumindest dankbar, dass meine Mutter noch lebt!
(Sie wohnte in Deinem Haus, Spontiv? Das wusste ich gar nicht. Das ist ja dann noch näher dran – im räumlichen, wie übertragenen Sinn.)
Creezy, ja. Irgendwie doof, aber irgendwie auch beruhigend. Beides gleichzeitig. (Oma hat sich vorhin ganz dolle gefreut, dass ihre Enkeltochter einen ihrer teuersten Mäntel, den sie fast nie getragen hat, der ihr jetzt aber auch viel zu klein ist, abgeschnitten hat und mit der übrig gebliebenen Jacke sofort stolz die Stadt unsicher gemacht hat. So etwas ist dann auch wieder schön. Die beiden sind sich ohnehin ganz nah und so kann die Oma noch erleben, was die Enkelin aus und mit ihren Klamotten macht, anstatt sie in die Altkleidertonne zu kloppen.)
Freue mich sehr über die Verbindung zwischen Enkelin und Oma.
Ja, ich auch! Sehr!
Das Verhältnis meiner Mutter zu mir ist ja auch ein wirklich gutes, das zu meiner Tochter ist aber nochmal ein ganz anderes. Sie ist im Umgang mit ihr irgendwie freier, ruhiger, entspannter, freudiger. Sie hat sie ja liebevoll mit großgezogen, wenn ich arbeiten gegangen bin. Der Große liebt seine Oma auch sehr, auch mit ihm ist meine Mutter sehr verbunden, aber diese ganz spezielle Bindung ist es nicht.
Wenn sich meine Mutter über eine Widrigkeit des Alltags in Aufregung hinein steigert – und das tut mit schwindender Gedächtnisleistung zunehmend – dann muss ich nur Tochterkind ans Telefon holen. Erst redet sie aufgeregt weiter, Tochter muss dann mehrmals „Oma?“ ins Telefon fragen, aber irgendwann dringt sie zu ihr durch und dann vergisst Oma ihre Aufregung meist ganz schnell und freut sich einfach nur über ihr Enkelkind.
So ganz die Geborgenheit einer Großfamilie bekommen wir vielleicht nicht hin – wir geben uns aber Mühe.
Ja, direkt über uns, es war mal ihr Haus. Sie ist die Oma von meinem Mann. Oder war. Nee, ist. Hier sind die Familienverhältnisse eher kühl – dabei besteht die Gesamtfamilie insgesamt nur noch aus zwei Personen + mir als Fremdkörper.
Es ist ein seltsames Gefühl das Leben eines anderen aufzulösen.
Dieses Weitergeben – von Schätzen und Geschichten – ist wunderschön und so wertvoll.
Ach Pepa, Ihr macht das ganz wunderbar!
Ja, das Leben eines anderen aufzulösen ist seltsam – das eigene Leben in Auflösung zu sehen auch:
Heute morgen kurz nach 6 kam der Anruf meiner Mutter, ihr Blutdruck sei wahnsinnig hoch, das Herz rase. So etwas hatte ich die ganze Zeit über schon befürchtet.
Wir (Tochterkind hat zum Glück ja noch Ferien und wollte sofort mit) sind dann gleich hingefahren und nach Erhöhung der Betablockerdosis und einem kleinen Frühstück im Bett (sie frühstückt sonst NIE im Bett, sie entstammt einer Generation in der das nicht üblich war) zusammen mit dem Enkelkind, das ja auch noch nichts gegessen hatte, ging es ihr nach etwa zwei Stunden dann auch wieder besser (zumindest Blutdruck und Herzfrequenz waren wieder im Normbereich und lachen konnte Oma auch schon wieder).
Und danke Karan – wir geben uns einfach nur Mühe zu begleiten – das ist bei meiner Mutter auch bislang gar nicht schwer, weil das Grundverhältnis zu ihr ein liebevolles und stimmiges ist.