Heute mal wieder im Outlet meiner Berliner Lieblingsklamottendesignerin gestöbert. Wenn der Laden rappelvoll ist, weil es mal wieder Extraprozente auf die ohnehin schon sehr weit herabgesetzte Luxusware gibt, dann öffnen die sehr netten Verkäuferinnen einen mit vielen Spiegeln ausgestatteten, relativ großen Kellerraum als Gemeinschaftsumkleide.
Das kann, wenn die richtigen Frauen dort zusammentreffen ganz lustig sein. Es kostet zwar zunächst ein wenig Überwindung, sich vor Wildfremden aus- und umzukleiden, hat man den Mitumkleidenden aber erst einmal ein paar freundliche Komplimente gemacht, dann kann ganz schnell eine diskret kichernde Weibertruppe entstehen, die sich voreinander dreht und posiert, Ratschläge gibt und erbeutete Klamotten untereinander austauscht: „Hier probieren Sie das mal, ich glaube das steht Ihnen besser als mir“ oder „Wenn sie das Kleid nicht haben wollen, bitte hier rüber damit“. Der Altersdurchschnitt liegt übrigens meist irgendwo zwischen Mitte 40 und Ende 60. Selbstbewußte Frauen, die schon so viel erlebt zu haben scheinen, dass sie solche unwichtigen Dinge wie kleine Fettpölsterchen oder ausgeleiertes Bindegewebe an der einen oder anderen Stelle nicht mehr sonderlich aus der Bahn schmeißen können. Ich mag diese Atmosphäre sehr.
Nicht so sehr mochte es wohl die wirklich bildhübsche, gertenschlanke junge Frau, die sich dort heute in einem bezaubernden schmalen Kleid vor dem Spiegel betrachtete und die mir auf mein wirklich ganz ehrlich gemeintes und freundlich gelächeltes „das sieht sehr, sehr schön aus“ traurig und mit einem Anklang von Resignation antwortete „Ja, das Kleid sieht schön aus“.
Welch ein Kontrast zu der älteren, ebenso elegant wie rasant gekleideten Dame, jawohl: Dame !, die später vor mir an der Kasse stand. Nachdem sie mit der Verkäuferin ein wenig geplaudert hatte (und das war so freundlich und zugewandt zwischen den beiden, dass es mir überhaupt nichts ausmachte einfach ein wenig länger zu warten), erklärte sie schmunzelnd, dass das Kostüm, das sie sich da gerade gekauft hatte, ihr ja eigentlich ein wenig zu eng sei, sie werden am Rock den Knopf versetzen müssen, mindestens. Wahrscheinlich müsse sie den Rock einfach bis über den Bauch nach oben ziehen, der werde ja dann unten wieder weiter.
Wenn ich mit einer dieser beiden Frauen tauschen müsste, ich wüsste genau, welche ich lieber sein wollte.
8 Antworten zu “Ausverkauf”
ich wüßte das auch genau ;). trotzdem denke ich über die erste mehr nach und frage mich einmal mehr, warum es so eine einstellung geben muß und welche faktoren wohl bei ihr dazu geführt haben…
Ja, sie haben auch mich beide irgendwie berührt.
Die junge Frau tat mir sehr leid, wie sie, objektiv eine wirkliche Schönheit, offenbar von Selbstzweifel getragen war.
Und sie ist lediglich eine von vielen „verzweifelten“ jungen Frauen – die Anzahl von Essstörungen in dieser und jüngeren Altersgruppen legen hier Zeugnis ab.
Und es war wieder einmal ein Beweis dafür, dass man mit freundlicher Fremdwahrnehmung hier nicht allzu weit kommt – ein Wissen, das ich wohl mit allen Männern teile, die versuchen ihre Freundin/Frau davon zu überzeugen, dass sie weder fett, noch hässlich ist.
Nun, dass ist ja leider seit Generationen unter Frauen Usus. Das wir uns in frühen Jahren, wo wir im Allgemeinen wirklich nichts zu klagen hätten über unseren Figuren oder Jugendlichkeit, uns lieber von Selbstzweifeln zernagen lassen anstatt die Zeit zu genießen, die uns diese besonderen Jahren bringen und die wir in der Art natürlich nie wieder bekommen werden.
Nur ist’s heute wohl schlimmer geworden als früher. Heute wird noch weniger gelobt. Selbstbewusstsein und Ansehen wird selbst in den eigenen Kreisen nur noch über Figur und Aussehen definiert. Ich bin sehr froh, heute nicht noch mal jung sein zu müssen.
Ich merke auch zunehmend selber, wie man heutzutage überhaupt nicht mehr als Frau wahrgenommen wird, wenn man nicht irrsinnig aufgebretzelt daher kommt. Wer nicht langhaarig im Mini mit Highheelsdaher kommt, fällt durchs Raster.
Hab ich mal wieder Glück gehabt, meine Fassade ist tadellos. Bei mir hapert es nur innerlich. Wie der Spanier sagen würde, soy un buen perchero. Wahrscheinlich habe ich auch schon ein paar Falten im Gesicht und Beulen am Oberschenkel, aber irgendwie erreicht das nicht meine Wahrnehmung. Ich zieh aber auch immer noch die
gleichenselben Klamotten wie in meiner Jugend an. Naja, das hat jetzt bald ein Ende, seitdem ich den Hund hab, ist mehr Vergang dran.Vor Jahren hab ich mal ein Mädel aus reichem Haus kennengelernt, die aufgrund von Amerikaaufenthalten für den 18. Geburtstag so einige kosmetische Eingriffe vorhatte. Ich war entsetzt. Als ich sie dann fragte, wie es denn so bei ihren Freundinnen wäre, ob die hübschesten oder die lustigsten den größten Schlag bei den Jungs haben, gab sie zu, die lustigsten wären da schon weiter vorne.
Das hat dann doch ein bisschen gradegerückt.
Ähm, mal ganz außer der Reihe weil es schneller geht als eine mail zu schreiben. Kennst Du eigentlich das Blog „Es wird mal kurz hell im Hals“ ? Wird von einem deutschen Anästhesisten geschrieben, der nach Schweden gegangen ist, um dort zu arbeiten. vielleicht ja interessant für Dich. Wenn nicht auch nicht weiter schlimm, ich dachte nur, ich schreib es Dir mal.
Ja, die Jugend ist an die Jugend verschwendet, aber das ist leider nur ein Teil der derzeitigen Wahrheit. Die jungen Mädels stehen unter einem viel stärkeren Druck, als wir es früher taten und ich wage mal zu behaupten, dass die Allgegenwärtigkeit von Photoshop & Co-Idealabziehbildern einen nicht unerheblichen Anteil an der verdrehten Selbstwahrnehmung haben.
Und der Schlag bei den Jungs ist vermutlich auch nicht der ausschlaggebende Grund, warum viele junge Frauen sich schier zu Tode hungern – geht man tief in die psychischen Ursachen, dann ist es oftmals genau das Gegenteil. Auf der anderen Seite haben wir dann die übergewichtigen Teenies, die schon mal die Rente beantragen, weil sie meinen, das stünde ihnen so zu.
Wir haben Mitte und Maß verloren, alles muss außerordentlich, super und mega sein.
Liisa, das ist ein sehr interessanter Link.
Ich habe mich ja vor nun fast drei Jahren schrittweise aus der kurativen Medizin zurückgezogen und werde das auch noch weiter komplettieren. Es haben sich hier ganz andere, wichtige Aufgaben für mich aufgetan. Will hier gar nicht ins Detail gehen, nur so viel: Bei all den einschneidenden Umgestaltungen, die wir in nächster Zeit in unserem Gesundheitssystem vor uns haben, finde ich es wichtig, dass auch Mediziner, die die Bedürfnisse vieler Patienten über längere Zeit und nicht nur in ein paar Jahren Klinikausbildung quasi hautnah verfolgt haben, versuchen so viel und so gut wie möglich dazwischen zu rufen, wenn profit- und neoliberal orientierte Fachfremde versuchen
der Bevölkerung das Geld aus der Tasche zu ziehenein neues Gesundheitssystem zu basteln.Wie gesagt: Versuchen.
Keine Ahnung, ob überhaupt noch etwas zu retten ist.
(Die jungen Kollegen, die den Weg in den hohen Norden finden, kann ich gut verstehen. Für mich kommt es aus diversen Gründen nicht mehr infrage. Einer davon ist, dass ich im nächsten Jahr 50 werde, weitere andere, dass der Huf keine neue Musikzeitung im Schwedischen basteln kann und die Kinder drei Jahre vor dem Abi nicht unbedingt in ein anderes Land ziehen möchten. Nur der Hund fänd’s vermutlich toll. ;-) )
Ähm, oh nein! Ich wollte Dich/Euch ganz gewiss nicht dazu anstiften in den hohen Norden auszuwandern! Dass besagter Anästhesist dorthin gegangen ist, ist nur „Beiwerk“. Ich dachte eher dass Dich das Blog evtl. interessieren könnte wegen der Anästhesie-Thematik. Ich meine, Du willst doch nicht in den Norden auswandern und mich hier lassen … willst Du doch nicht … oder? ;o))
Neenee, ick bleib hier. :-)
Die Anästhesiethematik – nun, ich dachte ja immer, die Akutmedizin mit all dem persönlich ausgeschütteten Adrenalin würde mir fehlen, aber das ist genau der Teil der Arbeit, auf den ich offenbar am leichtesten verzichten kann. Keine Entzugserscheinungen, ganz im Gegenteil große Erleichterung, diesem traumatisierenden Job entflohen zu sein. Geht übrigens ganz vielen älteren Kollegen genau so.