Vier freie Tage, die keine freien Tage sind, sondern mit Betreuung und vor allem Organisation des dementen Lebens meiner Mutter angefüllt sind.
Besonders nervig dabei sind die Dinge, die eigentlich weder sein sollten, noch dürften.
Vom Stromabieter, der aufgrund eines „Computerfehlers“ plötzlich den zehnfachen monatlichen Abschlag berechnet und als er den nicht bekommt das Abstellen des Stromes ankündigt (Oma hatte sowohl die Rechnung, als auch die beiden Mahnungen sorgfältig versteckt – so wie sie jetzt Vieles einfach „versteckt“) , bis hin zum Werber des DRK, der sich laut Aussage der Zentrale auf alte Damen spezialisiert hat und immer energisch aufgetreten sei (man beteuerte, sich mittlerweile von dem Mitarbeiter getrennt zu haben) und der der Oma eine Jahresmitgliedschaft mit Auslandsrückholservice angedreht hat. Alles telefonisch wieder ins Lot zu bringen, aber es kostet Zeit und Nerven, sich stundenlang durch diverse Warteschleifen zu hangeln (an dieser Stelle ein dickes Dankeschön an den besten aller Männer, der das mit stoischer Ruhe übernommen hat.)
Von der Bankberaterin, die auch nach mehrmaliger Erklärung, warum die Mutter eben in der letzten Zeit nicht zur Bankberatung gekommen ist (es wäre mir neu, dass man das neuerdings muss, das kenne ich nur vom Bohnusheft beim Zahnarzt)) mantraartig wiederholt, sie solle doch zur Beratung kommen, warum das denn nicht gehe und das (und an dieser Stelle konnte mich der Huflaikhan gerade noch zurückhalten, der Dame ins Gesicht zu springen) bitteschön an ihrem alten, 30 km entfernten Wohnort.
Auch das ließ sich letztlich telefonisch klären, man hörte förmlich die Dame in der Hotline die Augen verdrehen, ob der Dämlichkeit ihrer Kollegin in der Filiale (ich habe nämlich seit Jahrzehnten eine Kontovollmacht, was ich auch angesagt habe und auch im Computer sichtbar ist – also nix, von wegen, die Omma muss zu Bank bekarrt werden.)
All das zusätzlich zu den alltäglichen Problemen. Sie vergiss mittlerweile vollkommen zu essen – auch die Mahlzeit, die ihr täglich vom fahrbaren Mittagstisch geliefert wird, bis hin zur langsam fortschreitenden allgemeinen Verwahrlosung (wir alle hier geben unser Bestes, aber wir können nicht rund um die Uhr anwesend sein.)
Die Deutung des Umstand, dass ich mich nun ausgerechnet von den diversen Omma-Problemen in der ohnehin kurzen arbeitsfreien Zeit mit dem ablenke, was sie selbst über Jahrzehnte betrieben hat, wäre am ehesten Gegenstand einer psychologischen Deutung.
Jedenfalls habe ich gestern abend beim Aufräumen des Dachgeschosses ein altes Stück schwarzen Leinens gefunden, es heute vormittag zugeschnitten und am Abend zusammengeschustert. Schlicht, einfach (mehr geht auch gar nicht in der Kürze der Zeit) und nach einem Schnitt aus dem Jahr 1998.
(Leider ziemlich durchscheinend das Ding, aber zu meinen geliebten Sarouelhosen passt es ganz vorzüglich und ist damit auch alltagstauglich.)
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11 Antworten zu “60 – 90 – 60”
Frau Pepa, keine Sarouelhosen! Das Kleid sieht klasse an Ihnen aus und an Ihren Beinen!
Ja, das mit „unsa Omma“, ja, das ist … ja, das kenne ich auch; ist meine Oma Oege gewesen, wurde von meiner Tante und Mutter gewuppt und war sehr fordernd.
Tolles Kleid an wunderschöner Frau! Der Huflaikhan muss ja hin und weg sein! :)
Oh, danke die Damen *erröt*.
Ich bin selbst etwas erstaunt, was hohe Absätze und Perspektive aus meinen Knubbelbeinchen machen können.
Die Omma habe ich heute damit erfreut, ihr die Haare zu schneiden. Sie sah schon ziemlich nach Strauchdieb aus und hat unter den langen Haaren auch während der Hitze sehr gelitten. Meist hatte sie keine Lust, sich frisieren zu lassen, heute hat der Huf ihr einfach mitgeteilt, dass sie jetzt eben die Haare geschnitten bekommt und Punkt.
Die Luft im Nacken und das etwas kühlere Wetter hat sie dann so fröhlich gestimmt, dass sie sogar etwas gegessen hat.
Blöd war nur wieder der Kontakt mit ihrer Umwelt, speziell mit einer Nachbarin, die mir in den Ohren lag, sie doch endlich „ins betreute Wohnen“ zu geben, sie würde nämlich nicht mehr ausreichend oft Lüften (das beobachte sie von ihrem Fenster aus…). Es ist einfach anstrengend die Leute dann niederzulächlen, sich für ihr Mitdenken ganz herzlich zu bedanken und sie für ihre Umsicht zu loben, damit sie sich hinterher gut fühlen und die Omma tunlichst in Ruhe lassen. Puh!
(Mal abgesehen davon, dass Omma im „betreuten Wohnen“ weniger gut versorgt wäre, als sie es jetzt ist.)
Soooo…und jetzt muss ich schnell das Tochterkind vom Bahnhof abholen….:)
das kleid sieht tatsächlich wunderhübsch an ihnen aus, da ist nix zu viel und nix zu wenig, ganz wie es sein soll.
die ärgernis, die ihnen da so zuteil wird, ist einfach ein teil des konzeptes „billige arbeitskräfte mit aufgabengebiet zum abhaken, denken unerwünscht, plansoll vorgegeben“. trifft man heutzutage überall.
das mit dem betreuten wohnen ist immer so eine sache. aber irgendwann wird wohl der moment gekommen sein, fürchte ich. ich danke ja immer, wenn ich sowas lese, dem lieben gott dafür dass meine mutter so eine böse frau war, und ich daher auch keinerlei empathie für sie empfand. es kam alles so, wie ich es ihr vorhergesagt – allerdings nicht gewünscht – hab, denn wünschen tut man sowas niemand, nicht einmal bösen frauen, nicht einmal sooo bösen frauen.
ich weiss nicht, was ich ihnen wünschen soll, ausser einem friedlichen weiter- und ausgang. es ist so entsetzlich, zusehen zu müssen einerseits, und dann wiederum sind diese menschen wiederum fröhlich und gut gelaunt, und man denkt, es wird vielleicht besser oder zumindest nicht schlechter, und so weiter. ich kann mich gut an ein paar solche fälle erinnern, da ich die personen viel lieber hatte als meine mutter ging es mir auch entsprechend viel näher.
meinem opa konnte in den letzten jahren nur meine mutter die fussnägel schneiden, jemand anders liess er nicht an seine füsse – sie jammerte noch jahrzehnte später darüber. aber er sass immer da mit einem strahlenden gesicht, die füsse im schaffel eingeweicht, und genoss die prozedur sichtlich. haare- und bartschneiden war das gleiche theater: durfte nur sie. das interessante an der sache war, dass er sie eigentlich, bevor die demenz einsetzte, überhaupt nicht mochte – nie, und sie war schon ein paar jahre lang bei ihm in die volksschule gegangen, das war also sicherlich gut fundierte ablehnung. manchmal beschlich mich der verdacht, er würde sich einfach hinter der mauer aus demenz, schwerhörigkeit und alter verschanzen und ihr alles zurückzahlen, so gut er konnte. freundlich war er nämlich dabei nie zu ihr, aber zu absolut allen anderen, ob er sie nun (er)kannte oder nicht. es ist gar seltsam mit dem menschlichen geist.
Ja, die Demenz hat ganz unterschiedliche Gesichter.
Während der eine als erstes seinen Wortschatz verliert, hat meine Mutter den ihren nach wie vor parat. Dafür vergisst sie in einer Sekunde, was in der davor passiert ist.
Sie wäscht sich nicht mehr regelmäßig, was ihr früher sehr wichtig war, dafür macht sie weiter sorgfältig und ordentlich ihr Bett. Sie vergisst es zu essen, trinkt dafür aber Milch in gigantischen Mengen – was soll’s? Den Calciumüberschuss versuche ich immer mit etwas Magnesium zu kontern, wenigstens nimmt sie so Flüssigkeit zu sich.
Bisher hatte sie, bis auf ganz wenige Ausnahmen, keine wirklich schlimmen Fehlleistungen, dennoch haben wir den Herd vorsorglich vom Netz genommen.
Und sie steht immer wieder vor mir und fragt wie ein kleines Kind, ob ich sie denn wenigstens noch diesen Sommer in ihrer Wohnung ließe.
So lange wie möglich, sage ich ihr dann immer und dann ist sie beruhigt.
Dass der Punkt irgendwann kommt, an dem sie nicht mehr in der eigenen Wohnung bleiben kann, ist nicht ganz unwahrscheinlich. Ich habe mir ganz grob als Marker (mal abgesehen von schweren Fehlhandlungen, die eine Unterbringung in einem Heim erfordern würden) das Erkennen ihrer Angehörigen gesetzt oder schlicht ausgedrückt: Wenn sie uns nicht mehr erkennt, wäre vermutlich der Zeitpunkt gekommen, sie in einer ambulanten oder stationären Pflegeeinrichtung betreuen zu lassen. Wir können da nur reagieren.
(Unter „betreutem Wohnen“ versteht man hierzulande übrigens nur seniorengerechte Wohnungen mit Hausmeister und ggf. Putzservice, aber ohne Pflegeleistungen und auch ohne Beaufsichtigung – das würde jedenfalls nicht ausreichen.)
ja, das „betreute wohnen“ kenne ich, das ist hier auch nicht wirklich anders. aber sie können das ja gott sei dank selber gut beurteilen, was zu tun ist. das ist zwar ganz schlimm für sie einerseits, andererseits: sie wollen das beste für die alte dame, und so ist doch gewährleistet dass sie keine kurzschlussreaktionen setzen, und nicht aus irgendwelchen anderen gründen eine entscheidung treffen. soviel glück hat nicht jeder patient dieser gruppe.
die böse frau landete ja letztendlich in einem privaten pflegeheim (ihre pension, noch so ein altes bank-modell, fragen sie nicht …) reichte dicke dafür. bei einer bypass-operation (die sie entgegen meinem dringenden rat immer wieder hinausschob, weil mein bruder (elektrotechniker …) sich nicht entschliessen konnte ob sie das nun machen lassen sollte oder nicht) hatte sie dann drei mittlere zerebrale insulte, mit anschliessend 3 monaten intensiv, 3 monaten überwachung, 3 monaten rehab. es war – kompliziert.
sie hatte dann aber ein mit privaten möbeln eingerichtetes zimmer, aber eben keinen herd, keine anderen gefährlichen geräte, sie konnte sich nicht einschliessen, und sie wurde rundum kontrolliert, gewaschen, gebadet, gewickelt, je nachdem, sie hatte bessere und schlechtere phasen. hat sich noch zwei jahre gezogen, das vergnügen. aber über das heim konnte man nicht meckern: die waren total toll. rund um die uhr ein arzt zur verfügung, angeschlossene krankenstation, krankenschwestern und pflegepersonal in ausreichender anzahl, alles picobello.
Ja, auch wenn immer recht viel über Pflegeheime und – dienste geschimpft wird, es gibt wirklich ganz hervorragende Teams.
Wir haben seit einiger Zeit die Medikamentengaben an einen Pflegedienst abgegeben, nachdem es auch nicht mehr funktionierte, Oma telefonisch mehrmals am Tag daran zu erinnern, dass sie ihre Medis nehmen muss („jaja, mach ich gleich“ – aufgelegt – vergessen). Die Mitarbeiter dieses Dienstes sind super. Sie geben nicht nur die Medikamente, sie achten z.B. auch darauf, dass sie zumindest zu diesen Zeiten ausreichend trinkt. Das ist ganz streng genommen gar nicht ihre Aufgabe. Ich bin da sehr dankbar.
Wir können einfach nur sehen, wie wir das Beste aus der Situation machen.
Einen optimalen Verlauf kann ich da nur wünschen. Mit frohen Momenten.
Und guten Nerven.
Näh‘ weiter!
Ja, das wünschen wir uns auch. Danke! :)
Habe gerade Kollegen und Freund in Notaufnahme besuchen müssen wegen einer TGA. Puh, gruselig, aber zum Glück eben harmloser als es aussieht. Carpe diem. Mit guten Dingen.
Oh ja, gruselig.
Carpe diem, Du sagst es.