Icke neulich so: „Hey, das ist super! Was ist das? Percussion?“
Der Huf so: „Nein, das ist ein präpariertes Klavier.“
Vor langer Zeit:
Wir waren damals in dem Alter, in dem meine Kinder jetzt sind. Wir hatten uns gerade intensiv mit den achtstimmigen Motetten Bachs, diversen Oratorien und Kantaten auseinandergesetzt. Wir sangen im Jugendchor eines großen Konzertchores, hatten erste Auftritte in der Berliner Philharmonie mit großen Orchestern hinter uns.
Unser Chorleiter war zu dieser Zeit auch Leiter des Studio Neue Musik Berlin und so wurden wir verdonnert gebeten, im Rahmen eines Festivals die Sitze eines Konzertsaales zu füllen, der ansonsten wohl eher spärlich besetzt geblieben wäre.
Neue Musik. Wir hatten keinen Schimmer, was das sein sollte.
Umso erstaunter waren wir, als plötzlich befrackte Musiker nicht nur die Tasten des großen Steinway-Flügels bedienten, sondern sich mit Kochlöffeln und anderer Gerätschaft (so sagt es jedenfalls meine nun ja auch schon etwa 35 Jahre alte Erinnerung), in dessen Eingeweiden zu schaffen machten.
Vermutlich hätte uns auch das einfach nur erstaunt, wäre da nicht diese ernsthafte „Alle-Banausen-außer-wir“-Arroganz in Gesichtern und Haltung gewesen, mit der nicht nur die Befrackten da merkwürdiges Getön erzeugten, sondern auch die wenigen „echten“ Zuhörer das Werk mit tief-ernster Miene ergriffen erlauschten
Um es kurz zu machen: Wir konnten das Lachen kaum unterdrücken (versucht haben wir es, wir waren schließlich alle gut erzogen). Wir lagen schier unter den Sitzen der Bestuhlung vor uns.
Eine ganze Reihe voller beinahe erstickender Teenies – dabei waren wir weder unmusikalisch, noch musikalisch ungebildet und als geistig vollkommen vernagelt erinnere ich uns auch nicht.
Wäre hier nicht so viel Attitude zur Schau gestellt worden, hätte man einfach nur (Neue) Musik gemacht, ich hätte vermutlich nicht erst Jahrzehnte später einen Zugang zu diesen Kompositionen bekommen.
Einfach nur zuhören, darauf einlassen und alles intellektuelle Getue vergessen, dann ist es einfach nur großartig.
15 Antworten zu “Neue Musik”
HUUURZ!
Jajaja! :-)))) *fingerfuchtel*
Genau das meine ich! Ohne dieses verzweifelt-sture Bemühen der Zuhörer, die Fassade des gebildeten Bürger aufrecht zu erhalten, würde dieses geniale Kabinettstückchen gar nicht funktionieren.
Das ist genau die gleiche Fassade, die es letztlich aber auch verhindert, wirklich brilliante Kunst als solche nicht zu erkennen. Man tut schließlich nur so als ob man hier etwas verstünde und vor lauter Bemühen merkt man weder was Mist, was Verarsche und was von wirklicher Substanz ist.
So im Nachhinein betrachtet, finde ich unser authentisches Teeniegelächter deshalb auch eigentlich nur konsequent. Nur war es eine Reaktion auf die Haltung der dort agierenden/zuhörenden Erwachsenen, nicht auf die Musik. Die trat vollkommen in den Hintergrund und das ist irgendwie schade, geschieht es doch auch heute noch in der Kunstszene – egal welcher.
das stück gefällt mir auch! wir haben mal versucht, mit dem uni-orchester ein stück von anestis logothetis einzustudieren [von ’68, sogar mit neuer notation ;)] – das war eher schwierig. weil die leute nicht offen sind, dinge mit ihrem instrument auszuprobieren und ständig NUR kichern und das ganze ü-ber-haupt nicht ernstnehmen konnten. war schade. [vielleicht klappt es in diesem semester…]
Ja, vieles scheitert an Vorurteilen. Schade, dass das schon in recht jungen Jahren offenbar so ist, aber ich beobachte das auch zunehmend im Umfeld meiner Kinder. Irgendwie scheinen Viele schon sehr früh genormt zu werden.
Diese wundervoll gelungene musikalische Interpretation eines im Leerlauf laufenden, gut geschmierten Schiffshilfsdieselmotors ist ganz vorzüglich *** duck und weg ***
Hm, also ich würde das Teil dann aber mal in die Werkstatt bringen. Das hat (ab 0:34) sonne olle Gründerzeitstanduhr verschluckt, wie es scheint!
@pepa, wirklich brillante Kunst, egal in welchem Genre macht vor keiner Fassade halt, denke ich. Für den Interessenten. Den ganz individuellen.
Für mich muss sich Musik gleich welche(da gibt´s ganz viel), in Bewegung umsetzen lassen(von der Bewegung des Musikers und seines Instrumentes ganz abgesehen). Der Körper muss quasi ein Interesse an den Tönen haben. Sonst geht er. Früher nach Hause. Oder gar nicht erst hin. Herr Cage ist zum Dableiben.
Hm, ob das jemand versteht…
Da muss nur mal das Ventilspiel nachgestellt werden. So altes Zeug hat ja keine Hydrostößel.
Ich bin ja ein großer Fan der Minimal Music (vor allem Glass und Reich), daher finde ich dieses Stück vom ollen Cage gar nicht so fremdartig. Vielmehr sehe ich darin den geistigen Vater (und die analoge Variante) der vor allem in den 90ern aufkommenden Ambient Music mit ihrem Sampling, Remixen, Click’s n Cuts, etc..
Jedenfalls habe ich hier einen Sackvoll Tracks, die Jahrzehnte später genau das Gleiche mit elektronischen Mitteln machten. Und solange ich nicht gewzungen werde Schönberg zu hören… :)
Aaaah, die Neue Musik mit riesengroßem „N“!
Mir ist das aus Studienzeiten im experimentellen Dartington ja alles sehr vertraut, aber meine Herren Kollegen schütteln oft nur den Kopf über allzuviel Hurz … ;-D Bis, ja bis sie plötzlich gemeinsam mit mir Mitglieder in einem Ensemble für freie Improvisation wurden. Und sich herausstellte, daß sie beide nicht nur trefflich hurzen können, sondern auch einen riesigen Spaß an der Sache haben. Wobei man dazu sagen muß, das „Improvocation“ (so heißt die Bande) natürlich gänzlich allürenfrei ist. ;-)
Letzte Woche trafen wir uns mit Teilen der Gruppe mitten im englischen Dartmoor, wo in einem alten, verlassenen Steinbruch eine verrostete Winde steht, die die herrlichsten Töne produziert, wenn man sie dreht, und die sich wirklich spielen läßt wie ein Instrument. Zusätzlich hatten wir noch allerlei anderes dabei (Querflöten, Obertonflöten, Baß mit Miniverstärker, Cajon …) Wenn alles klappt, geben wir da mal ein Open-Air-Konzert. Die Notation steht in den Felsen, und die Vögel pfeifen auch mit…
Ja Carodame, in den Körper muss das gehen – egal ob sich das dann in äußerer Bewegung zeigt oder man es quasi innen empfindet (das geht mir ganz häufig so).
Erwin, allein für das Wort „Hydrostößel“ hast Du einen Preis verdient. Das ist ja schon Musik an sich, dieses Wort. :)
Kai, die Minimal Music war mir bisher nicht so geläufig. Danke für diesen Hinweis, alles was ich mir gerade eben ergooglet habe, finde ich extrem interessant.
(Und hier wird niemand gezwungen, irgendetwas zu hören. Wobei ich selbst Schönberg sehr mag…. manches, nicht alles…:) )
Karan, das stelle ich mir phantastisch vor! Und ich würde sehr gern dabei sein, wenn ihr dieses Konzert gebt! :)
Es ist wirklich eine Frage der Offenheit, aber auch der Art und Weise, wie man mit dieser Art des Musizierens in Berührung kommt. Der Huflaikhan fing sofort, nachdem er Cage’s Stücke für präpariertes Klavier gehört hatte an, selbst Für präpariertes Klavier zu komponieren. Im zarten Alter von irgendwas unter zwanzig, während ich das Ganze erst einmal kopfschüttelnd ad acta gelegt habe (unabhängig davon, dass ich nicht komponiere – aber weiter dafür interessieren, hätte ich mich schon können.)
Liebe Pepa, wenn das Steinbruchkonzert stattfindet, werden wir Mittel und Wege finden, es per Video festzuhalten. Oder Ihr kommt ganz einfach mit nach England!
Die Stücke vom Huflaikhan würde ich riesig gerne einmal hören!
Ich muß beschämt zugeben: Komponieren für präpariertes Klavier ist dann besonders klasse, wenn es sich nicht um das eigene Instrument handelt, in dessen Inneren man ja doch eher ungern herumfuhrwerkt … ;-))) Ich hab‘ das während des Studiums auch gemacht und einen Flügel mit allerlei nicht unbedingt artgerechtem Innenleben verziert – nach getaner Arbeit mußte ich den ganzen Schlonz immer sehr sorgfältig abbauen, damit meine Übungsraum-Nachnutzer bei Bach und Beethoven keine unangenehmen Überraschungen erlebten … von innen an den Flügeldeckel fliegende Radiergummis sind nun mal nicht jedermanns Sache. ;-D
Hihi, von innen an den Flügeldeckel fliegende Radiergummis. Und am Flügel dann so ein kleiner grummelnder Schröder. :-D
Am liebsten würde ich Euch ja mal wieder in echt und Farbe erleben, aber eine Videoaufzeichnung wäre auch schon ganz wunderbar.
Du kannst uns möglicherweise in echt und in Farbe erleben, wir sind nämlich dieses Jahr auf der re:publica in Berlin, von 2. bis 4. Mai. Und versuchen gerade, am darauffolgenden 5. irgendwo etwas Konzertartiges auf die Beine zu stellen, haben aber noch nix gefunden…
Oh ja, das wäre TOLL! :)