„Entweder es geht schief und die Demenz gewinnt die Oberhand, oder sie fängt irgendwann an, im Garten zu wühlen,“ sagte ich vor einigen Wochen zum Huflaikhan.
Nachdem Muttern die ersten Tage ziemlich durch den Wind war und in mir schon der bange Gedanke hochkam, ob es wirklich eine so gute Idee war, sie in eine Wohnung in unserer Nähe und nicht gleich in ein Pflegeheim umziehen zu lassen, hat sie heute angefangen die Terasse vom Unkraut zu befreien, sich etwas gekocht und die neue Kaffeemaschine korrekt bedient. Der kleine Garten, die frische Luft und der Besuch vom Hundetier tun ihr gut.
Guter Dinge ist sie die ganze Zeit über, sie weint ihrer altem Umgebung keine Träne nach und das ist wirklich das Wichtigste.
Und noch etwas: Ohne den Huflaikhan, der organisiert und einspringt und die Oma besucht und beruhigt und einkauft und Regale aufstellt, hätte ich das gar nicht geschafft. Muss ja auch mal gesagt werden. :-)
26 Antworten zu “Umzug mit 81 Jahren”
offensichtlich habt ihr alle da wieder einmal etwas ganz, ganz richtig gemacht. vielleicht ist es der frau mama ja ganz recht, dass sie sich mit den alten erinnerungen nicht mehr dauernd an alte zeiten erinnert fühlt? soll es öfter geben, dass dann, wenn das gefühl ein überbleibsel zu sein weg ist durch die neue situation auf einmal die lebensgeister wieder zurückkommen.
ich freu mich für euch. und dem huflaikhan meinen respekt.
Ja, für Muttern ist es nochmal ein neuer Anfang – alle ihre Bekannten (altersmäßig etwa in der gleichen Preisklasse) beneiden sie darum.
Und noch etwas anderes scheint mir zum Tragen zu kommen – ich hatte heimlich schon darauf gehofft – sie sagt selbst, je „depperter“ sie wird, desto mehr ist sie in Gedanken in ihrer Kindheit.
Nun hat sie ihre Kindheit auf einem ganz kleinen Hof in einem ganz kleinen Dorf an der Oder verbracht und als ich sie da gestern mit großer Sorgfalt, ruhig, sicher und, ja, durchaus kraftvoll die Terasse nach der Unkrautrupfung fegen sah, dachte ich, dass sie genau so als Kind den Hof gefegt haben mag. Und nicht zuletzt die Tatsache, dass wir ganz in der Nähe sind und sie jetzt schnell und regelmäßig besuchen können, bringt eine ganze Menge Sicherheit zurück. Wir müssen nur noch schauen, wie wir das am besten in unseren Alltag integrieren – aber irgendwie wird das schon werden. (Sohnkind ist gerade mit dem Nachbarn unterwegs, um irgendwo eine alte Schrottkarre zum Üben aufzutreiben. Eine Bedingung dafür, dass ich den Unterhalt für die Schüssel zahle ist es, mit dem Teil für die Oma einkaufen zu fahren und bei Bedarf die Oma durch die Gegend zu kutschieren – schaun mer mal….;-) )
Ach, wie sehr schön! Ich komme zum Kaffee! ;-)
Hihi, Oma durch die Gegend kutschieren … das erinnert mich an frühere Zeiten. Fahrt in der Nacht von Heiligabend auf den ersten Weihnachtstag von Schnarchenweiler nach Wuppertal mit der alten Tante auf dem Beifahrersitz, die eigentlich die Nacht in der Besucherritze verbringen wollte und nun im Morgenmantel ihrem eigenen Bett auf der leeren Autobahn in Flughöhe Null entgegenflog und mit jedem gefahrenen Kilometer noch ein bißchen religiöser wurde, als sie es sowieso schon war.
Creezy, so weit, dass sie Audienz halten könnte, ist Muttern leider noch nicht, die Situation noch lange nicht stabil. Gestern suchte und wühlte sie schon wieder – wenn man sie fragt, was sie eigentlich sucht, sagt sie oft, dass sie das schon wieder vergessen habe. Und in 60 qm, über 50 Jahre angesammelten Krams, kann man prima wühlen und suchen. Wir sind gerade noch dabei, wegzuschmeißen (wobei ich das nicht einfach hinter ihrem Rücken tue, sondern ihr versuche eine Chance zu geben, allein einzusehen, dass sie das ganze Zeug nicht braucht – was extrem aufwändig ist, weil sie zu jedem Stück erst mal überlegt, wo sie es her hat und wen sie getroffen hat, als sie es gekauft hat und wer gerade Geburtstag hatte in der Zeit usw.usw.usw. – also nachdem sie erstmal aufgeschrien hat, dass sie das alles noch dringend BRAUCHT!) und soweit Struktur in den Haushalt zu bringen, dass sie sich dort auch wieder allein zurecht finden kann.
So hat sie z.B., nachdem sie sich Wochen vor dem Umzug strikt weigerte, etwas aus ihren übervollen Schränken zu entsorgen, ja überhaupt irgendetwas zusammen zu packen, in der letzten Nacht in der alten Wohnung bis in die frühen Morgenstunden Handtaschen und Einkaufsbeute vollgepackt mit ganz wichtigen Dingen. Als wir am Umzugsmorgen in die Wohnung kamen, konnten wir kaum treten: Handtaschen, Beutl, s.o. und sie noch im Schlafanzug und wühlend und jammernd, wie auf der Flucht. Ich hatte sie vorher gebeten, ihre Medikamente separat einzupacken und mit zu uns zu nehmen (dort sollte sie ja zunächst übernachten, bis die neue Wohnung bewohnbar ist – wir hatten die Umzugsfirma mit Einpacken und Auspacken beauftragt, eigentlich sollte alles reibungslos ablaufen. Eigentlich, aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte.)
Da ich Muttern erst bei uns zu Hause absetzen (35 km hin 35 km zurück) und danach sofort zur Arbeit fahren musste, fragte ich sie nur, wo denn die Medi drin seien, habe die entsprechende Tasche (und diverse andere, von ihr als überlebenswichtig titulierten Taschen und Beutel) gepackt, mir die Oma geschnappt und bin losgefahren. Mit dem Erfolg, dass wir die Medikamente drei Tage lang suchen mussten. Die hatte sie nämlich nicht eingepackt, dafür hatte sie Staubsaugerbeutel (die braucht man doch!), eine alte Farbdose nebst Pinsel (weiß auch nicht, vielleicht muss man ja was ausbessern), andere Medikamente, die sie schon lange nicht mehr einnimmt und deren Haltbarkeitsdatum längst überschritten war und noch einige andere Kuriositäten dabei.
Die Situation die ich dort oben beschrieben habe ist so ein erstes Highlight, sieht man davon ab, dass sie wirklich nicht traurig ist, ihre alte Wohnung verlassen zu haben.
Aber die Stimmung schwankt schon recht erheblich. Heute morgen war sie ziemlich auf Krawall gebürstet – liegt vielleicht am Wetter, denn auch ich bin heute nicht die Gelassenheit in Person.
Du siehst, wir hangeln uns hier so von Tag zu Tag. Vielleicht schaffen wir es in der Adventszeit, uns mal ganz gemütlich zusammenzusetzen. :-)
Und Wendelbald – ich kann mir die Situation so richtg gut vorstellen! :-)))
Hat die Tante ihre Handtasche auf dem Schoß mit schon weiß werdenden Finger festgekrallt oder hat sie permanent am Griff über der Tür gehangen?
Hm. Das erinnert mich an den Umzug meiner Mutter aus dem Saarland nach DD. Die ist zwar deutlich jünger aber mit eingebautem Dachschaden. Schizo. Egal. Im Vorfeld war trillionenfach besprochen worden wie der Ablauf des Umzuges ist. Alle Möbel kaufe ich neu, sie muss nur das persönliche Zeugs in drei, vier Kisten packen und den restlichen Krempel abholen lassen. Der Plan war gut. Wirklich!
Nur das meine Mutter irgendwie das Ganze für ein Unterhaltungsprogramm hielt. Gepackt war was? Eben. Nix.
Das Ende vom Lied war das ich innerhalb von drei Tagen vier Mal mit dem Kombi die Strecke Merzig – Dresden gefahren bin. Nur um den „Kleinkram“ zu transportieren. Zwischendurch habe ich den restlichen Hausstand an vorbeikommende Passanten verschenkt „Ey, brauchste ne Waschmaschine? Hier, nimm mit.“
Fragen Sie mich nicht wie, am Ende war alles im Lot. Und Muttern saß immer fröhlich dazwischen und aß mir die Gummibärchen weg!
Ich habe zwei Dinge gelernt: Mutter kann Gummibärchen atmen und ich kann drei Tage ohne Schlaf auskommen.
Von daher! Geben Sie Oma eine Tüte Gummibärchen! Das wird!
well. hoffentlich schreibt keins meiner kinder ein blog, wenn ich alt bin.
Mach ich doch mit Links. (Von wegen des Leistenbruches rechts.) @Casino: Wie alt darf man denn werden, bevor man den Kindern Daumenschrauben ansetzt. @Spontiv, Gummibärchen bitte für mich. @creezy: Thermoskanne für Kaffee wird sicher gesteltl. @ all. Jetzt Fussball.
Ach Spontiv, danke! Das macht mir Hoffnung. Wir müssen ihr Zeit lassen, geduldig bleiben und eben machen, was gemacht werden muss. Ist aber schon hart, wie man dabei an seine Grenzen kommen kann. Durch Schlafmangel, Zeitmangel, die anderen alltäglichen Pflichten, die ja manchmal auch schon grenzwertig sind und die man nicht mal eben so runterfahren kann und nicht zuletzt durch die eigene Verstrickung in den Lebenslauf der Eltern. Wenn ich mitten zwischen Kram ein Foto von mir als Kleinkind finde, dann habe ich zumindest unterschwellig nicht den professionellen Abstand, den man in diesem inneren und äußeren Chaos bräuchte. Dennoch bin ich sehr froh, dass wir es gemacht haben. Mutters Grundstimmung ist zufriedener und heller als vorher.
Vielleicht sollte ich auch noch erwähnen, dass wir über viele dieser Fehlleistungen gemeinsam lachen können – also Muttern und ich, nicht wir anderen miteinander.
Und Casino, vielleicht hast Du ja Glück und Deine Kinder lassen Dich gleich im Pflegeheim betreuen und kümmern sich nicht weiter. Dann können sie auch nichts über eventuelle Fehlleistungen schreiben. ;-)
Nein, im Ernst, ich hoffe sehr, dass es wenn wir einmal so weit sind (und bei Dir dauert das ja noch etwas länger, als bei mir), eine Akzeptanz des Zustandes der Demenz gibt und auch einen angemessenen Umgang damit. Die ewige Jugend wird es wohl auch in Zukunft nicht geben – weder im Gesicht, noch dahinter.
Ja genau Hufi, eines haben wir vergessen zu erwähnen – Oma hat aktuell 11 Thermoskannen am Start. Das Kaffeekränzchen
darfdürfte theoretisch also ruhig etwas größer ausfallen.@Pepa: Die Mischung aus Geschwindigkeit, Motorengedröhne und Heavy-Metall-Gewummer veranlaßte sie, ihre Gebetskette aus ihrer Handtasche hervorzukramen, diese nahm sie in die linke Hand und betete gegen den Highway to hell an, während sie sich mit der rechten Hand oben im Haltegriff heftig verkrallte. In Wuppertal angekommen, küßte sie beim Aussteigen fast den Boden und versuchte nie mehr, sich zu Heiligabend bei uns einzuquartieren.
Genau so etwas in der Richtung habe ich mir schon gedacht. :-))))
liebe pepa, ich hab mich auf den commetar von sponti bezogen und keinesfalls auf den bericht über deine mutter, entschuldige bitte! ist mir verrutscht. und mann mit knickfinger: wahrscheinlich, bevor sie mir die daumenschrauben ansetzen. timing ist da alles.
@ all: Die Welt ist schlimm. Ist so. ich gehe jetzt eine Runde Krawallo machen.
Ach Casino, das wäre auch in Bezug auf meinen Mutter-Kommentar okay gewesen.
Wir (der Krawallo-Mann und icke, die Kinder – gerade auch, weil sie wieder schulisch extrem eingespannt sind – haben da eine noch geringere Frustrationstoleranz beim Ertragen der Omaaufregung gezeigt) sind nur gerade ein wenig dünnhäutig. Es ist ja nicht wie bei einem Kind, bei dem es eine Entwicklung nach vorn gibt und das von Tag zu Tag selbstständiger wird, eher umgekehrt und wir stoßen jetzt schon – vermutlich und hoffentlich nur durch das Umzugschaos aggraviert – an unsere Grenzen, müssen aufpassen uns nicht gegenseitig anzuraunzen.
Der Huflaikhan sagt gerade, ich soll nicht so rumsülzen.
Blah. Geh‘ ich halt ins Bett. So.
@ pepa: Gefällt mir. ;)
alles wird gut.
hier gibt es eine oma, die dann zu ostern meiner tochter oder mir etwa 40 jahre alte thermoskannen schenkt, dafür noch riesigen dank erwartet, die hübschen gegenstände halten noch etwa genau bis zu meiner mülltonne. naja.
ich muss mal in den keller gehen, aussortieren. tschüss.
@casino
Och, warum nicht? Das reale Leben ist nun mal so wie es ist.
Marion, na super – da freut sich Deine Tochter sicher ganz dolle! (Herzlichen Glückwunsch übrigens zur Einschulung der Lütten, äh der Großen! :-) )
Spontiv: Jenau!
Und erst, wenn es uns nicht mehr peinlich ist, dass wir vielleicht irgendwann auch „so werden“, haben wir einen Zustand der Akzeptanz erreicht. Und dann ist es zwar immer noch nicht toll, z.B. von einem Moment auf den anderen zu vergessen was war, aber ganz so schlimm wie jetzt, wird es dann auch nicht mehr sein. Wenn ich mir die gern immer wieder als Teufel an die Wand gemalte, vermutliche demographische Entwicklung der nächsten Jahre und Jahrzehnte so vorrechnen lasse, wird uns gar nichts andere übrig bleiben. Und hey, je früher wir damit anfangen, desto besser.
Ich war bis vor drei Jahren der gesetzliche Vormund meiner Mutter, macht also 20 Jahre Himmel (wenig) und Hölle (viel). Sicher gibt es Grenzen, man lernt diese aber immer weiter zu verschieben. Es geht nun mal nicht um irgendeinen wildfremden Menschen. Trotzdem muss man lernen das man nicht alles selber machen muss. Seitdem zweimal täglich der Pflegedienst kommt bin ich zwar finanziell ärmer und trotzdem reicher – weil es meiner Mutter (und mir) nun mal guttut das sie es nicht mehr mit einem hochgradig überforderten Sohn zu tun hat.
Es immer einfach von draussen Ratschläge zu erteilen. Ich hab ne Menge Fehler gemacht und daraus gelernt. Klare Ansagen sind für alle Beteiligte besser als falsch verstandenes Mitleid. Und Gummibärchen sind eine super Medizin!
20 Jahre? Dann hast Du gleich mit der Volljährigkeit die Vormundschaft für Deine Mutter übernommen? Das klingt extrem hart – also für Dich. Meine Hochachtung!!!
Finanziell ärmer – ja icke ooch, Omas Rente ist für die jetzige Miete auch ein wenig zu dünne. Auf der anderen Seite ist dieses doch deutlich sicherere Gefühl, sie zum einen in einer ruhigeren Gegend, zum anderen ganz in unserer Nähe zu haben unbezahlbar.
Pflegedienst werde ich sofort mit ins Boot holen, wenn sie weiter abbaut. Muttern ist da zum Glück sehr offen. Es gibt ja durchaus auch kranke Menschen, die lassen keinen Fremden über ihre Schwelle.
Und ja, die klaren Ansagen. Fallen manchmal schwer, aber man muss sie machen. So z.B. als Muttern die erste Nacht allein in der neuen Wohnung schlafen sollte und mich, als ich endlich um 23 Uhr gehen wollte, mit großen, entsetzten Hundeaugen anschaute und fragte: „Du willst mich jetzt nicht wieder mitnehmen?“(und sie wollte mich damit nicht unter Druck setzen – das weiß ich, sonst hätte sie weiter Theater gemacht – sie war wirklich in dem Moment erschüttert und verstand die Welt nicht mehr). Und ich musste hart bleiben, obwohl ich sie am liebsten eingepackt und wieder zu uns mitgenommen hätte und hab‘ mir selbstverständlich zu Hause einen riesen Kopp gemacht, ob sie nicht in der Nacht irgendwo in der Wohnung, oder noch schlimmer außerhalb der Wohnung rumirrt.
Und Gummibärchen! Ja aber sowas von! :-)
Was heisst hart: mit 18 ist man noch so schön naiv… Man lernt mit jedem Schritt. Ob man will odernich!
P.S. Meine Mutter hat die erste Nacht in der neuen Wohnung mit der Bratpfanne in der Hand verbracht. Hätte ja ein Einbrecher kommen können! Der Arme… ;-)
Und diese Therapiesitzung schliesse ich mit dem Geburtstagswunsch meiner alten Dame: sie wünscht sich was? Na? Genau! ;-)
Ähm, ähm, eine, äh Bratpfanne? ;-)
Meine Hochachtung hast Du jedenfalls, so oder so, in jedem Fall sowas von!
Gummibärchen! Klinikpackung! ;)
Ach Mensch!
*haut sich mit der flachen Hand vor die Stirn*
Klar! :-)))