Viel zu kurz waren die letzten Nächte. Der Huflaikhan deshalb hier sehr spät zu Hause und wenn das Rudel nicht komplett ist, kann ich nicht schlafen (also wenn jemand hier verreist oder für längere Zeit unterwegs ist, dann schon – aber nicht, wenn einer des Nächtens noch nach Hause kommen will/soll.)
Der Wecker heute morgen hatte jedenfalls seine liebe Mühe, uns aus dem Schlaf zu fiepen. Bis zum Dauerton musste er crescendieren, ehe einer von uns, ich glaube ich war das, es schaffte eines der Augenlider wenige Nanometer zu heben.
Als ich in halb benebelten Zustand (der Begriff „schlaftrunken“ ist hier ein durchaus treffender) die Kinder wegen schwerem Gepäck (Geigenkasten, Turnbeutel, halbe Bibliothek) zur Schule kutschierte, wobei ich um ein Haar an der Sohnkindschule vorbeigepennt wäre, ploppten plötzlich zwei schon lange nicht mehr gehörte Wörter in meinem Gehirn auf: urst und muchtig.
Zum ersten Mal hörte ich sie aus dem Mund der ostdeutschen Freundin eines langjährigen Bekannten. Das ist Jahre her. Seitdem sind zahlreiche Kinder geboren, Häuser gebaut und Ehen geschieden worden, aber ich will nicht abschweifen. Also damals konnte ich mit urst und muchtig auch nie so richtig etwas anfangen, wobei sich muchtig noch eher erschloss als urst.
Nun habe ich die beiden schon lange nicht mehr gehört, so lange, dass sie mir mein müdes Hirn heute morgen als merkwürdige Rarität präsentierte, so nach dem Motto: „Schau mal was ich hier im Halbschlaf gefunden habe!“
Irgendwie scheinen sie abhanden gekommen zu sein, die beiden.
Weiß jemand etwas über ihren Verbleib?
13 Antworten zu “Verschollene Wörter”
»Urst« kenne ich von früher. Aber das Wort hat sich schon damals nicht bei allen Jugendlichen durchgesetzt. Das Beispiel aus dem »Buch der bedrohten Wörter«: »Das ist ’ne urste Scheibe.« (gemeint ist eine Schallplatte, z.B. von Karat.) ist ganz gut gewählt.
Wer nämlich statt Karat lieber Bach gehört hat, der hat seine Platten bestimmt nicht als »urste Scheiben« bezeichnet ;-)
Heute klingt »urst« wie ein Wort aus einer lange vergangenen Zeit. Ich habe es ganz sicher schon zehn Jahre nicht mehr gehört. Vielleicht ist es mit den alten Rockgruppen aus dem Osten in Vergessenheit geraten …
»Muchtig« lernte ich beim Armeedienst kennen, wohl eher in der Aussprache »muchig«. Aber in meinen Sprachgebrauch habe ich es auch nicht übernommen.
Klingt, als seien die Wörter für Dich nicht unbedingt positiv belegt. ;-)
Was mich an dem Wort „urst“ immer so faszinierend hat, das ist dieser merkwürdige Klang. Das kam mir immer eher wie eine unwillkürliche Lautäußerung, vielleicht sogar eines Tieres, vor und ich konnte nie deuten, welchen Sinn das Wort hat. Fremdsprache halt irgendwie.
„Urst“ ist mir heute morgen übrigens als erstes Wort durch das Gehirn geschossen. „Muchtig“ kam hinterher, vermutlich ist es direkt daneben gespeichert. Ich bin noch am Überlegen, was ich mir damit eigentlich sagen wollte.
Wie soll ich das erklären? Am besten an einem Beispiel: Ich kaufe nicht besonders gern Kleidung ein, die man lange anprobieren muss. Aber manchmal muss es eben doch sein. Als ich vor Beginn des letzten Winters in einem bekannten Kaufhaus eine Winterjacke gekauft habe, hat mir (damals 42) die Verkäuferin (Ende 50) immer wieder Wörter wie »peppig« und »fesch« ins Ohr gesäuselt. Und das war einfach peinlich, weil es wirklich weder auf mich noch auf die Jacke passte. Ich sah in der Jacke sportlich aus, sie hat gepasst — und mehr wollte ich gar nicht wissen.
»Eine urste Scheibe«: ich habe nichts gegen das Wort —
aber das würde ich nie sagen, denn das bin ich einfach nicht. Ich sage weder zur CD noch zur Vinylplatte »Scheibe«, schon das wäre gekünstelt. Und darauf noch ein »urst« setzen?
Allenfalls würde ich zugeben, dass ich nach einer sehr langen Nacht als Sechzehnjähriger mal die Worte »eine urste Fete« gesagt haben könnte. Oder zumindest gedacht ;-)
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Und für »muchtig« gibt es eben auch so viele andere Begriffe, die den Zustand einfach präziser beschreiben: unsauber, fleckig, speckig, verdreckt, heruntergekommen … das Wort würde doch heute kaum mehr jemand verstehen.
Ja, das verstehe ich gut, ich konnte mit den Jungendlichensprech meiner Zeit auch nie viel anfangen.
Das Wort muchtig allerdings finde ich sehr lautmalerisch, vielleicht habe ich es aber auch nur falsch übersetzt. Für mich war es immer am ehesten so etwas wie „modrig“, in jedem Fall „riecht“ das Wort. Nach abgestandener Feuchtigkeit in alter Kleidung.
Also urst wird immer noch gebraucht. Ist – aus meiner Sicht als Wessi – eine ostzonale Sprachform gewesen und meine Freunde von „drüben“ nutzen das immer noch. Ich … äh … auch.
Muchtig habe ich bis eben noch nie gehört noch gelesen. ,-(
Klar, daran habe ich noch gar nicht gedacht: lokal kann ein Wort eine andere Bedeutung haben. Möglicherweise ist »urst« aus dem damaligen Ostberlin in den 70er/80er Jahren als Modewort in die DDR gekommen und hat sich dann aber nur in Berlin wirklich gehalten.
Wenn man ganz naiv bei urst erst einmal denkt, da fehlt ein W – dann erschließt sich urste Scheibe doch sofort!
Hm, die Menschen, die ich ursten hörte, hatte immer einen leicht sächsischen Akzent. Vielleicht war das ja auch nur eine Art urstischer Bumerang, der da in die „Hauptstadt“ zurück kam (und dort offenbar immer noch sein Unwesen treibt).
Allerdings die Erklärung der (w)ursten Scheibe erschließt sich mir sofort als zwingend logisch! Genau so muss das gemeint sein, meint man. ;-)
Sprachgebrauch der DDR ;-) Liest sich sehr spannend …
Oh ja, das tut es! Danke! :-)
Es ist prinzipiell eine gute Sache. Was mich allerdings stört: dort wurde die Sprache des Volkes mit der Sprache der Ideologen vermischt.
Viele Begriffe sind im Volk unter dem Druck der Verhältnisse entstanden. Oft haben sich die DDR-Bürger aus Notwehr in Sarkasmus geflüchtet, dabei wurden schöne Witze erfunden und treffende Worte geprägt.
Ich finde es sehr schade, dass auf der selben Seite solche SED-Begriffe wie »Antifaschistischer Schutzwall« (für Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl) zu finden sind, die garantiert nicht freiwillig benutzt wurden und garantiert nicht aus dem Volksmund der DDR-Bürger stammen.
Nun, angedeutet wird es ja im Text, nur leider fehlt die eindeutige Kennzeichnung der Wörter.
Ich finde dies alles sehr interessant, zumal ich es in meinem Umfeld ja mir sehr vielen ehemaligen DDR-Bürgern zu tun habe und es gibt immer noch sehr viel auszutauschen, was die oftmals doch recht unterschiedliche Sozialisation betrifft.
@stefanolix
Hm, und das trifft sich auch stellenweise auf unseren Sprachgebrauch zu? Der war doch zumindest kurz nach Mauerfall auch recht … eh knöchern …