Im Alter kommen die Zipperlein, man ist nicht mehr die Jüngste, die ersten Verschleisserscheinungen werden sichtbar, kurz und gut, mir ist vor ein paar Tagen ein ganzer Zahn samt Inlay abgebrochen, nach 16 Jahren (das Inlay, nicht mein Zahn, der ist schon älter), na gut, das kann vorkommen, in meinem Alter, s.o..
Da ich nun Mitte 2007 unter die Räder des Gesundheitsreformgesetzes gekommen bin und im Rahmen der Aufgabe meiner selbständigen Tätigkeit trotz Überschreitung der Beitragsbemessungsgrenze zwangsweise gesetzlich versichert bin, musste ich also heute für die Sanierung der unschönen intraoralen Lücke einen so genannten Heil- und Kostenplan bei „meiner“ gesetzlichen Krankenversicherung einreichen.
„Da müssen sie eine Kopie von ihrem Bonusheft mit einreichen“, tönte es mir mit mäßig freundlicher Servicecenterstimme entgegen, ich müsse lückenlos (harhar!) nachweisen, dass ich seit mindestens 5 Jahren jedes Jahr einmal beim Zahnarzt gewesen sei. Auf meinen Hinweis, dass ich ja erst seit 2 1/2 Jahren überhaupt gesetzlich versichert sei, sie ferner doch ohnehin alle Daten meiner Zahnarztbesuche hätte, erwiderte man mir, diese Daten könne man nicht einsehen.
Nun wollte ich mich mit derr Servicecentermaus nicht anlegen, sie hyperventilierte ohnehin schon deutlich hörbar und würde sowieso das widerkäuen, was man ihr in entsprechenden Schulungen eingebimst hat, aber ich weiß zufällig ziemlich unheimlich genau, dass der Krankenversicherung nicht nur alle Daten bezüglich (Zahn-)arztbesuchen zur Verfügung stehen, nein, seit 2008 sogar alle vollständige Diagnosen! (Ja, wir sind längst „gläsern“ und keiner kräht danach.)
Was soll dieses Bonusheftgedöns – eingeführt im Jahre 1989, wo man vielleicht wirklich noch keinen problemlosen Zugriff auf diese Daten hatte – also im Jahr 2009 noch?
Versichertendisziplinierung?
Wo doch auf der anderen Seite der mündige Patient gefordert wird, der seine Arztrechnungen selbständig kontrolliert? Der gleiche mündige Patient, der ab dem nächsten Jahr dazu verdonnert werden soll, saftige Zusatzbeiträge zu löhnen?
Zusatzbeiträge für Kassen, die ja wieder industriefreundlicher werden sollen?
Nun?
4 Antworten zu “Disziplinierender Anachronismus”
Ja, so ist das heute. Mit Kindern und Gesundheit kann man immer noch am besten verarscht werden. Heilige Kühe alles.
Vielleicht nehem die aber auch die Rabbattmarken von dm und Galeria Kaufhof. ;-)
Alternativ gibt es vielleicht bald eine Gesundheitslotterie – „gewinnen Sie eine Zahnbehandlung“.
Ja, das könnte sein.
Wenn die Gelder nicht an anderer Stelle rausgehauen würden, für „Innovationen“ die diesen Namen nicht verdienen, für lebensverlängernde Maßnahmen, die nicht nur extrem quälend, sondern auch extrem teuer und ebenso extrem fragwürdig sind, zunehmend auch für Wellnessangebote, dann könnte man vielleicht damit leben. Wobei ich die Gewichtung schon heftig finde, weil so deutlich sichtbar. Wessen Zähne nicht schön aussehen, der hat eben keine Kohle – aber genau das ist vielleicht gewollt? Noch mehr als bisher anhand des Erscheinungsbildes in Schubladen stecken zu können. Wer sein Bonusheft vergessen hat vorzulegen, der war nicht brav genug und wird bestraft (nicht dass ich mich persönlich jetzt hier beschwere, ich kann mir eine Krone schon noch leisten, auch wenn der Zuschuss 20% niedriger ausfällt). Und dies alles bei der immer noch weiter und noch weiter zunehmenden kollektiven Anbetung von Schönheit und Jugend.
In den USA gibt es diese Zahnarztlotterie schon. Natürlich habe ich schon wieder vergessen, wo ich den entsprechenden Beitrag gelesen habe, aber es war einer der endlosen Berichte zur Krankenversicherungsreform in den Staaten.