Eiligzeiten


Heute nahezu ausschließlich mit Leuten zu tun gehabt, die nervös, fahrig und vor allem aggressiv und wichtig waren.
Und dann diese vielen, vielen Menschen, die auf der Straße, in den Läden, im Auto und auf dem Fahrrad wichtig und aufgeplustert gestikulierend wie aufgescheuchte Gänsegockel in ihr Handtelefon schnatterten. Wirklich annähernd Jeder und Jede so ein Ding am Ohr – unglaublich.
Kam mir vor, wie in einen Tati-Film gebeamt.
Nicht herrliche, sondern hektische Zeiten.
Jeder ein managender Management-Manager, sei der Aktionsradius auch noch so begrenzt. GeschäftsführerInnen-ConsultantIn der heimischen Einbauküchenkinder und Heimwerkerpowerorganisatoren auf Speed.
Wie konnte das nur kommen, dass alle meinen, sich überschlagend überplappern zu müssen?


9 Antworten zu “Eiligzeiten”

  1. Tja, leider ist das so und wer eher ruhig ist und dieses Geschnatter nicht mit macht – aus welchen Gründen auch immer – gilt als Verlierer oder wird gar nicht mehr wahrgenommen. Alles ist nur noch auf Inszenierung und Verkauf ausgelegt. Präsentation ist wichtig und dabei muss geplustert und eine gute Show geliefert werden. Der Mensch verkommt im Grunde auch zur Ware, die entsprechend ansprechend daherkommen muß oder zumindest so tun muß, als ob sie ansprechend wäre. Da wird inszeniert was das Zeug hält, denn wer keine Show liefert, der bleibt am Wegesrand zurück. Die Aufmerksamkeitsspanne vieler Leute nimmt ja leider auch immer mehr ab, genauso wie die Geduld. Wer nicht ständig erreichbar ist, der ist im Grunde schon out. Kein Handy? Ja gibt’s denn das? Das geht doch nicht!! Du bist nicht bei Twitter? Tja, dann geht (angeblich!) das wahre Leben an Dir vorbei. Nicht innerhalb von Sekundenbruchteilen auf eine E-Mail geantwortet? Unmöglich! Sowas geht ja gar nicht! Man könnte diese Liste noch lange weiterführen. Der bzw. die Preise, die dafür bezahlt werden, die werden ausgeblendet, nicht wahrgenommen oder glatt verleugnet.
    Ich glaube, ich bin dabei mich hier zu überplappern …

    geht schweigend ab …

  2. Vollmond; es muss am Vollmond liegen… Ich fühle mich gerade wie in Watte. Da ist alles noch viel absurder. Tati trifft es.

  3. Liisa, Du sprichst mir aus der Seele.
    Und dass Du Dich beinahe überplapperst, liegt am Thema und an Deiner großen Empathie: Schon allein die Vorstellung eines Menschen mit Hektik-Handy macht einen doch nervös!
    Das Thema hatten wir neulich hier zu Hause: Der Mensch wird nicht nur nicht darüber definiert, was er ist, sondern ausschließlich über seine Leistung. Das aber nicht als absolute Größe, sondern immer im Vergleich mit anderen. Das fördert den Fassadenbau und die Reduktion auf Äußerlichkeiten.
    Ganz krass finde ich in diesem Zusammenhang auch, dass in der Schule zunehmend die Präsentation und nicht mehr der Inhalt dessen was der Schüler vorbringt bewertet wird. Mein Großer musste für den MSA direkt eine Präsentation mit Powerpoint und allem Schnickischnacki zelebrieren – der Inhalt war dabei relativ schnuppe, Hauptsache man war für 10 Minuten eloquent (was der Knabe ohnehin ist, was ihm eine gute Zensur beschert hat).
    Ich war einigermaßen befremdet.

    Su, Du hast vollkommen recht. Genau das habe ich gestern von einer unserer Helferinnen gehört, nachdem ich gestöhnt habe, wie übel die Leute drauf sind: Es ist Vollmond!
    (Ich schlafe da immer schlecht. Ist einfach so.)

  4. ich hatte neulich auf twitter die diskussion über die zunehmende quantität des eigenen info-levels durch diesen ganzen technischen schnickschnack, dabei aber die erschreckende abnahme der qualität des eigenen info-levels, weil ja nur noch an allem gekratzt wird aber nicht mehr richtig erkundet. diese diskussion auf 140 zeichen reduziert zu führen, hatte etwas … nun sagen wir mal … skuriles.

    neulich erklärte ich so einem mädel in der s-bahn, dass sie sich mit der handy-debatte über ihre bett-probleme in der s-bahn ziemlich ins eigene aus schießen würde, denn ich zumindest (und alle daneben sitzenden) wüssten jetzt, dass sie zu dumm ist einfach mal „nein“ zu sagen. Sie wurde wenigstens noch rot.

  5. Ja, es scheint, als würden vielen, besonders jungen Menschen alle Grenzen des Ich verschwinden. Sie zerfasern hektisch in die Weiten der Belanglosigkeit. Es kommt mir vor, als sei dies das Gegenteil des meditativen Aufgehens.

  6. Tsja, die Frage ist, was käme bei einigen der Jugendlichen dahinter? Die Diskussion über Pushups und Klebenägel? Ich gucke ja nun beim S-Bahn fahren mir oft diese Würmer an und frage mich, sind die nun wirklich schlimmer als wir es früher waren? Ich kann mich ja auch an Zeiten erinnern, wo ich nur noch die Inhalte der Bravo (sehr eingeschränkt auf einen Starschnitt ,-) ) im Kopf hatte. Also, sind die Jungs und Mädels einfach nur altersentsprechend stulle oder müssen wir uns wirklich Sorgen machen, weil es eine andere Zeit ist, die hart daran arbeiten, dass die kleinen Gehirne wirklich keine eigenen Denkprozesse mehr entwickeln dürfen und sollen und hier Zombies der IT-Welt geboren werden?

  7. Mit scheint, es sind nicht nur die Jungen, die zunehmend zerfasern. Auch Ältere blubbern zunehmend in die Handtelefone – man muss nur mal durch einen Supermarkt gehen, da stehen sie zwischen den Regalen und schnauzen mit steilen Stirnfalten ihre Koordinaten ins Mikro.

    Und die Jugend, hm. Also meine beiden Vertreter dieser Gattung haben gar nicht die Zeit, um sich um solche Dinge zu kümmern. Der Große vielleicht noch eher als die Lütte (die hat – mehr oder weniger freiwillig – mehr Arbeitswochenstunden als ich und ich arbeite ja auch schon nicht gerade wenig), aber auch der beschäftigt sich nur marginal mit Computerspielen und so Krams, wenn auch manchmal ein wenig geballt, das muss ich zugeben, in anderen Zeiten aber auch wieder gar nicht. Denken können die beide recht fix und um die Ecke und ich habe ihnen die virtuelle Welt nicht vorenthalten.

    Vielleicht fällt es einfach durch dieses ständige Gebabbeln auch nur auf, wie wenig in manchen Hirnen, jungen wie alten, so abgeht. Früher hat man es nicht gemerkt, weil sie nicht redeten und Schweigende überschätzt man ja gern mal, was ihre intellektuelle Kompetenz angeht. Aber die Hektik, die ist neu hinzu gekommen und sie fördert nicht gerade die Entwicklungsfähigkeit.

  8. Was mir seit einiger Zeit auffällt, dass die allgemeine Hektik immer mehr zunimmt. Die Leute reden schneller. Werden zunehmend aggressiver. Am Telefon ist mir jetzt schon mehrmals passiert, dass ich nachfragen musste weil ich die Person am anderen Ende der Strippe nicht verstanden hatte, nicht akustisch, sondern einfach, weil sie viel zu schnell gesprochen hatte. Als ich das bemerkte, wurde sie auch noch richtig ungehalten, weil sie ihren Satz nun wiederholen musste, und das auch noch langsamer. Oder Besucher hören nur mit einem Ohr hin, wenn ich ihnen den Weg erklären will, sind schon fast weg, wenn ich noch nicht den ersten Satz zu Ende gesprochen habe. (wundern sich allerdings dann, wenn sie sich verlaufen und sind genervt, wenn sie nochmals zurückkommen und nachfragen müssen) Gehen nicht normal, sondern rennen. Wenn ich am Telefon etwas erkläre, passiert das Gleiche. Ich rede gemäßigt und deutlich, aber das kommt wohl nicht an. Am anderen Ende der Leitung hört man genervtes Seufzen. Bin ich fertig mit meiner Erklärung, gibts ein knappes Danke und *klick*. Ich versuche, mich von dieser Hektik nicht anstecken zu lassen. Ich habe langsam das Gefühl, hektisch zu sein gilt als schick, als hip. Man muss ja schließlich permanent zeigen wie beschäftigt man ist, nur dann kann man klar machen, wie wichtig man doch ist. Ja ja. Mein Vater hatte einen guten Spruch auf Lager: ‚Operative Hektik ersetzt geistige Windstille‘. Dieser Satz kommt mir gerade in letzter Zeit immer wieder in den Sinn. Ich bemühe mich, mich nicht von dieser Hektik anstecken zu lassen. Ich arbeite langsam, jawohl, obwohl ‚langsam‘ in diesem Fall eher bedeutet, nicht rumzuwuseln sondern ordentlich und konzentriert alles abzuarbeiten. Ich kriege dabei meine Arbeit genauso schnell getan, vielleicht noch schneller…..
    So, nun genug geplappert hier ;o)

  9. ›Operative Hektik ersetzt geistige Windstille‹. Was für ein genialer Spruch!
    Ja, diese gschaftelhuberische Oberhektik und man selbst als Kontrast dazu. Kenne ich gut!
    Ich hatte in einer Tagesklinik, in der ich früher regelmäßig Vertretung gemacht habe immer den Ruf extrem langsam zu sein, weil bei mir im Op eine ruhige Atmosphäre herrscht (und zu herrschen hat, darauf bestehe ich). Die Kollegin, die immer nur zwischen Op-Tisch, Aufwachraum und Umkleide hin und her wieselte, galt als deutlich schneller. Bis irgendwann mal die Anzahl der Narkosen bezogen auf die Zeit verglichen wurde und siehe da…
    Die Schwestern, die mir dort alle sehr zugetan waren, konnten das sofort erklären. Bei mir schliefen die Patienten meist viel ruhiger ein und wachten auch ruhig wieder auf und zappelten zwischendurch auch nicht rum. Letztlich sparte dieser ruhige und damit auch komplikationsärmere Ablauf Zeit. Empfunden haben das einige sich ständig unter Zeitdruck wähnenden Operateure ganz anders, die wurden in ihrer eigenen Hektik lieber da abgeholt, wo sie wuselten.