Trotzdemreaktion


Gestern, bei der Konfrontation mit gediegen wohnenden, Golf spielenden und exquisiten Rotwein aus riesigen Ballongläsern schlürfenden etwa Gleichaltrigen das unwiderstehliche Bedürfnis verspürt, mich mit ’ner Pulle Bier inne Hand, laut rülpsend im Schneidersitz auf dem gepflegten englischen Rasen fallen zu lassen und den Proll zu geben.
Ick weeß ja ooch nich, entweder binnick zurückjeblieben oder die sind massiv vorgealter.


12 Antworten zu “Trotzdemreaktion”

  1. Das kann ich ja SO nachvollziehen.
    (Bei mir allerdings in die andere Richtung: Gestern Kinderchorkonzert der Neffen und Nichte – ich wurde zwangsverpflichtet, also ein Festsaal voll praktisch gekleideter Mütter samt Wochenendväter in T-Shirt und Treking-Bermudas. Genau die richtige Gelegenheit für ein ausgeschnittenes edles Kleid, Pumps, Häkelhandschuhe, spanischen Fächer.)

  2. Hihi, sehr schön!
    Du hast vollkommen Recht, im Grunde handelt es sich um das selbe Phänomen – Zusammenrottungen von Menschen, die sich hinter der Fassade penetrant präsentierter Statussymbolik , Arroganz und Intoleranz verstecken und schlimmstenfalls ihr kleines, mickeriges, humorloses Ich versuchen aufzuwerten, indem sie auf andere Artgenossen herabschauen – wobei es vollkommen wurscht ist, ob diese Artgenossen sich der gleichen Symbolik bedienen, oder einer anderen Statusgruppe angehören.
    (Leider spielen da Golf, fette Autos und englischer Rasen in der gleichen Liga wie die zur Schau getragene heil(ig)e Musterfamilie – leider in Bezug auf die armen Gören, die dort – in möglichst hoher Zahl (je mehr Kinder desto angesehener, dies aber wiederum nur, wenn Papi das nötige Kleingeld für deren proppere Ausstattung nach Hause schleppt) als Statussymbol für ihre Alten herhalten müssen.)

    In diesem Dynamiken müssen sehr starke emotionale Kräfte wirken – meine Gegenreaktion kann ich in solchen Situationen nämlich körperlich spüren.

  3. Es ist in der Tat zweierlei: Häufig hängen solche Bekundungen der jeweiligen „Normalität“ (oder Mustermenschmentalität) mit einer ausgesprochen intensiven Form von Humorlosigkeit zusammen.

    Und zweitens: Habe ich vergessen. Ach so, ja, ist es eigentlich nur lächerlich.

    Ich habe die Hoffnung auf die „kritische Masse“ allerdings noch nicht aufgegeben.

  4. Pepa, ick könnt dir knutschen!
    Als jemand, der nur äußerst geringfügig jünger ist als du, wundere ich mich auch oft, wie Gleichaltrige sich entwickelt haben.
    Noch schlimmer allerdings ist es, wenn sogar Jüngere sich von Spaß und „Leben“ quasi verabschiedet haben.

  5. Ick weeß nich, ob dis so viel mit ‚Alter‘ zu tun hat…

    Anfang 20 bin ich mit einem Freund zur Ruderregatta gefahren, Picknickdecke aus weißem Leinen, echtes Porzellan, Champagnerkühler, Silber und Kristall. War der volle Stress alles heil hin und weg zutransportieren, aber wir hatten unglaublich viel Spaß. Und natürlich dazu passende Kleidung.

    Der Rasen oder der Rotwein an sich sollte kein Problem sein, höchstens, wenn die ausrichtenden Menschen innerlich verdorrt sind.

    Aber das mag auch daran liegen, dass ich Bier noch nie mochte und es schätze, wenn der Wein im passenden Glas daher kommt.

  6. Wobei es wohl weniger die Ballongläser und der Rote sind als es die dazugehörige Konversation ist, vermute ich mal … ,-)

  7. Naja, ich würde sagen. Das gehört schon zusammen, in diesem Fall, Creezy. Das erinnert an diese Kugeln, die auch Könige neben dem Zepter führen. Sie sind zugleich Statussymbol wie natürlich auch Lebenslust. Ich meine, es kommt ja regelmäßig vor und sieht echt aus wie im Comic.Zwei Köpfe mit zwei roten Ballons.

  8. Ja, genau so ist es. Es sind weder die Gläser an sich, noch der Rasen und ein Picknick mit weißem Leinen, echtem Porzellan, Champagnerkühler, Silber und Kristall finde ich super. Es ist diese Grundeinstellung die da durch den Edelalkoholismus (mal abgesehen, dass in die Ballons ein ganz ordentlicher Humpen reinpasst, man beginnt morgens gepflegt mit dem Proseccöchen) transportiert wird: Wir haben es geschafft (was auch immer) wir sind und wissen sowieso alles besser als alle anderen und (hihi) wir genießen unseren Lebensabend (jedenfalls sieht das von außen so aus).
    Sohnkind hat das Ganze sehr schön szenisch ausgedrückt, indem er sich mit großer Geste seine rote Fleecedecke um die Schulter schmiss, blasiert auf uns nieder blickte und sprach:
    „Der Plebs verneige sich!“
    So ungefähr sind die drauf, die Rotwein-Ballons.

  9. und trotzdem fangen sie uns auch, entweder rennt man sich kaputt, um irgendwie mitzuhalten oder man schämt sich den ganzen Tag oder man muss so Sprüche aushalten wie „oh, ich sehe, du übertreibst es mit Retro ganz schön“ oder „oh, naja, wenigstens ist sicher alles bezahlt“.
    mir geht es so über das kind, obwohl ich nicht will nicht will nicht will. Aber irgendwas ist immer „ich will auch ein Hochbett/Fahrrad/…xyz….weil die …hat auch“. Und plötzlich bist du mittendrin.

    Dieser alte blöde Spruch, dass man seine Zeit zubringt eine Arbeit zu machen, die man nicht mag, um Geld zu verdienen, damit man Dinge kaufen kann die man nicht braucht um Leute zu beeindrucken, die man nicht leiden kann. Irgendwie sitzen wir da alle im Glashaus und ich suche immer noch den Notausgang.

    (Coolen Umgang hast Du da und ich finde Deine biertrinkende-Prollfrau-Idee lustig, obwohl ich es mir nicht wirklich vorstellen kann, dass Du das überzeugend rüberbringst.)

  10. Ooooch, zumindest habe ich den männlichen Ballonglas-User mit meinen neuen Gartenschlappen (diese breiten gelöcherten Plastikdinger, schwarz und mit Glitzerapplikation in Krönchenform – exklusiv für siebenneunundneunzig und ausgesucht vom Huflaikhan) in Zusammenhang mit hochgekrempelten Hosenbeinen und darunter vorguckenden Ringelstrümpfen geringfügig aus der Fassung gebracht – er musste immer wieder hingucken beim wichtig Schwadronieren.
    (Dabei waren die Hosenbeine lediglich aufgrund vorherigen Radfahrens noch hochgekrempelt – aber auch ansonsten finde ich es immer wieder fein, Ringelbein zu zeigen – auch unter dem offiziellen grauen Hosenanzug bei wichtig wichtigen Terminen – die rote Nase traue ich mich nämlich nicht zu allen Anlässen zu tragen und sie ist ja auch irgendwie ein wenig unbequem, so atemtechnisch… ;-) )

  11. Ringelstrümpfe und bekrönte Füße finde ich extremst stylisch, das muss das innere Kind sein :-)
    Aber vielleicht hast Du die Blicke fehlinterpretiert und er bewunderte nur Deine Knöchel?

  12. Das innere Kind und der äußere Clown verstehen sich gut. :-)

    Die Blicke waren nicht mal verwundert, geschweige denn bewundernd, die waren bestenfalls irritiert , am ehesten jovial.