Routinen


Eine Wahloperation sollte es werden, nichts therapeutisches. Eine der Art von Operationen, bei denen Anästhesist und Operateur noch sorgfältiger als sorgfältig vorgehen müssen, weil hier keine medizinische Indikation besteht, sondern ein persönlicher Wunsch des betreffenden Menschen den Eingriff auslöst.
Sie hatte sich nach dem Narkosevorgespräch täglich telefonisch gemeldet. Immer wieder waren ihr Fragen eingefallen, jeden Tag auf’s Neue fielen ihr andere Besonderheiten ihrer Selbst ein, die sie zuvor noch nicht erwähnt hatte. Sie war sehr besorgt. So besorgt, dass ich sie irgendwann fragte, ob sie sicher sei, dass sie den Eingriff auch wünsche.
Dann kam der Morgen der Operation. Und wie alle Patienten fragte ich auch sie nochmals nach eventuellen Allergien und – und während ich die Frage aussprach kam ich mir eigentlich schon fast zwanghaft pingelig vor, denn bei jemanden, der so besorgt um seine Gesundheit war, dachte ich, könne man sich diese Frage sparen, schließlich hatte ich, wie immer, ausführlichst über die Risiken einer Aspiration aufgeklärt
ob sie etwas gegessen, getrunken, oder geraucht hätte.
Und ich dachte, ich höre nicht richtig, als sie vorsichtig zugab, ein ganz klein wenig zu sich genommen zu haben. Der Kiefer klappte mir endgültig herunter, als sich dieses ganz kleine Wenig als ein komplettes Frühstück herausstellte.

Warum ich das erzähle?
Es war die Routine, die innere Checkliste, die diese so vollkommen abseitig scheinende Gefahr aufgedeckt hat.

In größeren Zusammenhängen braucht es kollektive Checklisten.
Wir arbeiten seit Jahren mit diversen Checklisten – die gehen einem nämlich gerade so lange auf die Nerven, bis man ein einschlägiges Erlebnis hatte.
Und andere Berufsgruppen bekommen das schließlich auch hin.


9 Antworten zu “Routinen”

  1. Ich will nicht fragen, warum vielbeschäftigte Anästhesisten und Operateure ihre Zeit auf nichttherapeutische Eingriffe verwenden.

    Aber überraschend finde ich das mit dem Frühstück nicht wirklich (na ja, jedenfalls nicht im nachhinein): Der Patient will aus irgendwelchen Gründen einen Eingriff ohne therapeutischen Zweck, und wenn er seine damit verbundenen Ängste eher unterdrückt hat, kann es natürlich passieren, daß sie irgendwie sich doch ausdrücken und auch noch die Oberhand gewinnen. Das spricht nicht gegen Checklisten, aber auch nicht gegen ärztliche Sensibilisierung für die Arzt-Patient-Beziehung. Und vielleicht hast Du es ja auch irgendwo geahnt, kann das sein?

  2. Erinnert mich wieder an Deine Geschichte mit dem Mann, der nach Vorbesprechung kurz doch noch fragte, ob sein drei Monate zurückliegender Infarkt für die OP von Relevanz sei.

    Aber ja, klar haben viele Menschen (Ärtze auch ,-) ) im Laufe der Jahre ihre Gefühle bei bestimmten Patienten, die sie dann auch selten täuschen. Aber für die, die durchflutschen, ist der fragende Abgleich wohl unabdingbar, zumal dann protokollierbar.

  3. Die Frage Ralf, ist durchaus berechtigt – es handelte sich allerdings um eine Operation, die bis 2004 noch Kassenleistung war, also im Rahmen des Sicherstellungsauftrages seitens des Kassenarztes zu, ähm, erledigen war. (Und man mag es sich kaum vorstellen, aber Ende 2004 kamen die SchnäppchejägerInnen aus ihren Löchern gekrochen und ließen sich schnell noch diese Operation „uff Kasse“ durchführen. Ob sie die eigentlich tatsächlich wollten haben sicher einigen von ihnen erst später festgestellt – nun ja, kann man ja – im Zweifel ooch uff Kasse – wat dajejen tun.)

    Und ansonsten hast Du auch recht – ich hatte ja schon die ganze Zeit über ein ungutes Gefühl – besonders, als mich die Frau dann fürchterlich anbrüllte, nachdem ich ihr gesagt hatte, dass ich unter diesen Bedingungen keine Narkose einleite, auch wenn sie mir unterschreiben würde, dass sie das Risiko dafür übernimmt. Nix is.
    (Eingriff nicht therapeutisch, dafür planbar und nicht nüchtern? Wohl ne Klatsche, wie? Ich halte ja viel von Selbstbestimmung, aber es gibt auch so etwas wie eine Fürsorgepflicht.)
    Und, genau, gegen ärztliche Sensilisierung spricht selbstverständlich gar nichts – nur beides zusammen, Routinen und Sensibilisierung, haben mit Sicherheit eine noch höhere Trefferquote.

    Ja Creezy, und ich habe – nachweislich nachdem ich im Narkosevorgespräch die Frage nach eventuellen Allergien gestellt habe – auch schon versucht, das während der Op verabreichte und im Nachhinein als allergen erinnerte Zäpfchen wieder aus dem Patientenanus zu friemeln. (Ohne Erfolg – die lösen sich viel zu schnell auf die Dinger – aber zum Glück auch ohne allergische Folgen.)
    Irgendwie muss man immer mit allem rechnen – ist wie im richtigen Leben. ;-)

  4. Am besten hat mir gefallen, dass bei dem Link am Schluss auf die Luftfahrt verwiesen wird. Egal ob Billigflieger oder Luxusairline, sie haben Checklisten, die abgearbeitet werden. Gerade in D-Land verspüre ich in der Medizin immer noch heftige Widerstände gegen ein solches Procedere – ist ja gegen die Regeln der ärztlichen Therapiefreiheit. Und gerade in Deutschland dauert es immer ziemlich lange, bis internationale Evidenz durchgesetzt wird. Sagen wir mal, keine Antibiotika bei der banalen Erkältung und kein routinemäßiger Hormonersatz bei jeder Wechseljährigen. Schön, dass Frau Dokta sich da an Grundprinzipien der Qualitätssicherung hält: Mach es imma bei jedem gleich. Die meisten Komplikationen habe ich gesehen, wenn HOCHPRIVATE Patienten, wie sajenwerma Minister, Nobelpreisträger oder Bundespräsidenten auf den Tisch kamen. Mein Doktavadda hat gesagt: nie hatten wir Komplikationen beim Kreuzbandersatz, bis Tante Frida aus Argentinien kam. Die blieb dann mit Thrombose und Embolie auf der Strecke.
    Das hatte zur Folge, dass ich fünf Stunden nach TE den Laden verliess, weil die Nachtschwester mir die die Strümpfe nicht anziehen wollte. Allerdings hat meine Schwesta auch Faktor V Mutation. Ich bin also ausbildungstechnisch und familiär panisch auf Thrombosen.

  5. Ich bin vielleicht etwas übersensibel, wenn irgendwo die Arzt-Patient-Beziehung außen vor gelassen wird, weil ich einmal einen Arzt hatte, der mit seinen blödsinnigen Schuldgefühlen nicht zu Rande gekommen ist. Eines von mehreren kombinierten Medikamenten hatte bei mir jenseits der Mitte der Therapiedauer eine eher harmlose Nebenwirkung hervorgerufen, weil die Dosierung falsch war, meiner Meinung nach aufgrund der Verordnung (ich hatte allerdings den Verordnungszettel nicht aufgehoben, da die Medikation über die Wochen gleich blieb). Er ließ mich das Medikament absetzen, obwohl er, wie sich hinterher zeigte, die Erwartung hatte, dies würde die Heilung vereiteln (die nun doch eindeutig wichtiger war, würde ich sagen). Als er Jahre später mir immer noch Vorwürfe wegen der falschen Dosierung machte und an den Therapieerfolg, den er natürlich selbst längst nachgemessen hatte, nicht glauben wollte, habe ich dann doch mal den Arzt gewechselt. — Falls ich oben etwas unwirsch gewirkt habe, Pepa, sieh es mir bitte nach.

  6. Ralf, nee! Du hast ja vollkommen Recht!
    Das eine tun, das andere nicht lassen. Eine gute Patientenbehandlung beinhaltet beides – fachliche Kompetenz und Beziehungsmedizin.
    Meine Spiegelneurone sind eines meiner besten Diagnostika – auf der anderen Seite sollte man auch die aktuelle Leitlinien kennen.
    Diese Leitlinien wie Kochrezepte anzuwenden, ist allerdings auch nicht der Zweck der Übung – die Kunst besteht darin, sie dem Patienten und nicht nur einem Teil von ihm anzupassen. So kann eine durchaus leitliniengerechte orale Antikoagulation bei einem sturzgefährdeten (gibt dann super Hämatome, blöd, wenn sich eines davon z.B. im Koppe breit macht) oder auch nur bereits leicht dementen alten Menschen (hab* ich nun die Tabletten schon genommen oder hab ich nicht? Ach, nehm ich mal noch eine, kann ja nicht schaden...), der sich vielleicht gerade noch ganz gut allein zu Hause versorgen kann, zur tödlichen Katastrophe werden. Alles schon gesehen.
    Was nun gar nicht geht, das ist die alleinige Psycho-Nummer, diese Barfußmedizin Kraft der eigenen Wassersuppe direktemang aussem Bauch raus (das liebe Frau Dokse, wat Du so schön unter "Therapiefreiheit" subsumierst ;-) ) ebenso kann aber auch das sture Festhalten an Leitlinie und Evidenzbasiertheit nicht zum gewünschten Therapieerfolg führen.

    Und Dokse, das stimmt schon, es gibt einige Hausdoktoren (okay, unter den Fachärzten gibt es auch welche, aber vielleicht nicht ganz so viele?) hierzulande, die sich ausschließlich auf ihren Kurs psychosomatische Grundversorgung und ansonsten auf das verlassen, was ihnen der Pharmavertreter erzählt hat. Ich erinnere mich da an eine Vertretung, die ich kurz nach der eigenen Approbation in einer Hausarztpraxis machen sollte. Da bin ich, um die Praxis kennen zu lernen genau einen Tag mitgelaufen (und habe den alten Leutchen, die mit einem simplen Schnupfen kamen und mit einer Schachtel Theophyllin (die 350ziger, viel hilft viel und nicht kleckern und so, wa?!) aus dem Arztmusterschrank wieder gehen sollten, die Pillchen (ja, meist sind das Kapseln, okay okay…;-) )kurz vorm Ausgang wieder entrissen, so nach dem Motto: JehmSe ma wieda her, da hat sich der Dokta glaubick jeirrt….). Ich habe da damals, öhm, nicht vertreten.

  7. Ja, wäre nur schön, Pepa, wenn man die „Beziehungsmedizin“ mit zur „fachliche[n] Kompetenz“ zählen und als solche bewußt ausbilden würde, meinst Du nicht?

  8. routine auf der ärztlichen seite ist die eine sache.

    was die geschichte aber wieder einmal zeigt ist, dass wir vom mündigen patienten sehr, sehr weit entfernt sind. wenn ich solche geschichten höre, wächst in mir das bedürfnis nach einer verordung, die die patienten vor jedem eingriff einfach einen tag lang in den keller sperren lässt, bei wasser und sonst nix. da kann vermutlich am wenigsten passieren, obwohl, sicher sein kann man sie ja nie.

  9. Ja Ralf, das wird mittlerweile versucht – mit Rollenspielen und allem drum und dran.
    Vermutlich ist es aber so, dass man für die Beziehungsmedizin eine gewisse Anlage zur Empathie einfach mitbringen muss und da gibt es halt große unterindividuelle Unterschiede innerhalb dieses Spektrums bis hin zu autistoidem Verhalten.
    Allerdings halte ich diese Kurse innerhalb des Studiums dennoch nicht für unnütz, ermöglichen sie doch denen die mit starken Empathie-Genen ausgestattet sind, diese auch zielführend einzusetzen und nicht nur als diffuses Gefühl wahrzunehmen, aus denen sie unter Umständen falsche Schlüsse ziehen (der Patient, der mich an den eigenen Vater erinnert, die Frau mit den unklaren Schmerzen, die aussieht wie die ewig jammernde Schwiegermutter etc. oder im Gegensatz dazu das komische Gefühl in der Magengegend, das mich durchaus zu einer Diagnose leiten kann).
    Diejenigen, die nicht mit ausreichend Empathieanlagen ausgestattet sind, ermöglichen solche Kurse vielleicht, das frühzeitig wahrzunehmen und sich ein Gebiet zu suchen, in denen sie möglchst nicht mit Patienten kommunizieren müssen. Auch da braucht es gute Mediziner (die kommunikationsfähigen würde ich eher „Ärzte“ nennen).

    Frau Kelef, das stimmt vollkommen. Eine doch recht ähnliche Situation haben wir im Krankenhaus. Da kommen die Patienten, eine gute Stationsführung vorausgesetzt, nicht so unbedingt leicht an ein Frühstück ran – zumindest müssen sie hier aktiv werden und nicht einfach futtern.