… und nicht die Omma vonne Nachbarin vonne Tante Käthe!
„Ach, ach was! Na sowas! Na sieh mal einer an!“, höre ich gestern meine kommunikative Mutter in eins ihrer drei Handys erstauneln. „Stell dir mal vor, Tante M. hatte das auch mal!“, erklärt sie mir nur wenige zwanzig Minuten später.
Nun ist die Tante M. eine Frau, die alles schon mal hatte und das, was sie nicht schon mal hatte, das hatte zumindest ihr Mann, der Onkel M., Gott hab ihn seelig, schon mal. Und so spart die Tante M. auch nie an guten Ratschlägen, weil, sie hat schließlich schon alles mitgemacht, Alles.
Nun gut, mitgemacht hat sie in der Tat viel, die Tante M., mit ihrem Mann, einem erst heimlichen, später nicht mehr so heimlichen Alkoholiker, der dann auch viel mitgemacht hat, aber eben doch nicht alles, das wäre einfach ein bisschen zu viel verlangt.
Jedenfalls war der Puls von der Tante M. auch schon mal so hoch. Über 100! Aber die Tante M., die hatte eine gute Ärztin und die hat der Tante M. gesagt, dass sie einfach in eine Plastiktüte atmen soll und das hat die Tante M. dann gemacht und da wurde alles wieder gut und das macht die Tante M. jetzt immer so, wenn ihr Puls so hoch ist, das hilft.
Prima!
Also mal ganz ehrlich, hätte ich nicht gerade daneben gesessen und meiner Mutter zügig erklärt, dass das, was die Tante M. da hat, dann wohl eine primär psychische Ursache hätte und dass man so etwas Hyperventilation nennt und dass das, was sie, meine Mutter, hat, aber auch nicht das Geringste damit zu tun hat und dass sie das lieber lassen sollte mit der Plastiktüte, weil dann würde das bei ihr nur noch schlimmer werden mit dem Herzstolpern, so mit weniger Sauerstoff und ordentlich CO2 im Blut und so…
…ich schwöre, sie hätte beim nächsten Mal Herzklabustern den Aldishopper zum Mittel der Wahl erklärt.
(Und ich weiß nicht, ob sie das trotz meiner Erklärung nicht dennoch macht.)
Nun besuche ich heute vollkommen ahnungslos die Wohnung meiner Mutter, um den Briefkasten zu leeren, ihr ein wenig frische Wäsche mitzubringen und was sehen meine erstaunten Augen auf dem Wohnzimmertisch liegen? Ein Medikament, das weder der Hausarzt, noch die Kollegen in der Reha, noch ich selbst ihr verordnet haben. So langsam dämmert es mir dann auch, sie hatte mich doch vor etwa einer Woche darüber informiert, dass die E., also die Frau vom dem J. mit denen sie nach unserem Familien-Urlaub auf Tour gegangen ist, ihr eine Schlaftablette von sich gegeben hätte. Wunderbar geschlafen hätte sie danach und überhaupt sei das ein ganz harmloses Mittel, das bekäme man nämlich ohne Rezept in der Apotheke und gut verträglich sei das auch, das stünde sogar auf der Packung. Na gut, dachte ich, ist wohl irgendwas baldrianartiges oder hopfenförmiges. Umso erstaunter bis entsetzter war ich dann heute: Ein Antihistaminikum. Da ist ja an sich nichts Schlimmes dabei, aber wie mir noch dunkel in Erinnerung war, ist das Zeug zumindest bei Bluthochdruck nicht allzu angesagt.
Ein Blick in den Beipackzettel verriet dann auch, dass nicht nur bei Bluthochdruck besondere Vorsicht geboten ist, sondern auch bei einer „Vorschädigung des Herzens“ und dass das Zeug zu, tatahh:
– einer Beschleunigung des Herzschlages,
– Unregelmäßigkeit des Herzschlages,
– Zunahme einer bestehenden Herzleistungsschwäche und
– EKG-Veränderungen führen kann.
Na gut: kann und die Häufigkeit dieser Nebenwirkungen ist auch nicht bekannt, aber allein die Tatsache, dass sie schon beobachtet wurden, hat mich dann heute nachmittag dazu veranlasst, mal zu fragen, wie viele von den Dingern sie denn nun tatsächlich eingenommen hat.
„Na, seitdem jeden Abend eine…„, kam es da ein wenig kleinlaut, und dass sie das schon gelesen hätte, das mit den Nebenwirkungen, aber die E. hätte gesagt, dass das bestimmt nix machen würde und die Tante K. hätte die auch gut vertragen, der hätte sie davon nämlich auch schon welche abgegeben.
Okay, soviel dazu.
Wohl die wenigsten Dinge im Leben haben nur eine Ursache.
Allet muttifaktoriell, sozusaren.
Quod erat demonstrandum.
22 Antworten zu “Des Pudels Kernschmelze oder jede Krise ist auch ganz klein wenig selbstgemacht oder zu Risiken und Nebenwirkungen fragen sie ihren Arzt oder Apotheker…”
Wir müssen uns etwas anderes überlegen, was wir uns im Alter rumreichen können: Fotos oder die Briefmarkensammlung reaktivieren?
Ich weiß gerade nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Aber genauso ist es. Nur meine Oma war anders. Als die starb, fand das Krankenhauspersonal alle Pillen, die sie partout nicht schlucken wollte/konnte in ihrem Bademantel.
Sowas kenne ich leider auch.
Wenn ich sehe, wie in der Familie von Bekannten (z.T. verschreibungspflichtige) Medikamente wie ein Hermann weitergereicht werden, könnte ich immer zur rasenden Wildsau werden.
Altersstarrsinn?
Oh. Immerhin wäre niemand so vermessen, hier von Halbwissen zu sprechen. Das ist dann doch eher 1/2500-Wissen.
„aber Frau Maier hilft das doch auch“. Und wenn es der hilft, dann hilft es allen? Würde klinische Studien wirklich vereinfachen.
„ach, so schlimm wird das nicht sein, ist doch gut verträglich“. Beeindruckend wie schnell manche Menschen Medizin studiert haben.
Weiter viel Erfolg!
Au ja, Creezy, am besten wir machen aus unseren Fotos Briefmarken. Da könnten wir uns dann auch gleich die Lupen gegenseitig ausleihen. ;-)
Nein, im Ernst, der wilde Medikamententausch, das Halb-, Viertel- und Tausendstelwissen ist wahnsinnig weit verbreitet. Da kann man sich ebenso wahnsinnig drüber aufregen, groß ändern kann man es leider nicht und vor allem: Man muss es als Arzt wissen und diese Möglichkeit in Betracht ziehen.
Ebenso muss man als Arzt wissen, dass nur ein Bruchteil aller Medikamente die man verschreibt, auch wirklich eingenommen werden und wenn, dann oftmals falsch oder lückenhaft.
Meine Mutter hätte früher so etwas nie gemacht, dafür war sie viel zu intelligent, aber seitdem in ihrem Cortex scheinbar die eine oder andere neuronale Verbindung schlafen gegangen ist, aus welchem Grund auch immer
(wir sind dabei, dies zu versuchen herauszubekommen)
scheint sie nach und nach wieder zu dem vertrauensseligen, ängstlich-respektvollen Bauernmädchen zu werden, das sie einmal war. Und wenn die E. und vor allem der J.! ihr sagt, dass sie dies und das ruhig tun kann, dann hat das Wahrheitswert, denn schließlich war der J. mal Injenjör!(Ich versuche immer wieder ihr beizubringen, dass es nicht nur dumme Juristen, dumme Politiker (ja okay: Dumme Ärzte), sondern eben auch dumme Injenjöre gibt und dass der J. ganz eindeutig einer von denen ist.)
Früher war es der Hausarzt, der seine Pappenheimer kannte und genau wusste, wer von denen akkurat die Therapie durchführte, wer ab und zu ein wenig unzuverlässig war und bei wem er es eigentlich gleich ganz sein lassen konnte. Der Hausarzt wusste noch viel mehr: Er kannte die Familie und damit die genetische Disposition, die soziale, wie auch die Wohn-Situation und somit eben auch ganz entscheidende, sowohl Krankheitsverlauf, als auch Therapieerfolg beeinflussende Faktoren.
Heute haben wir eine Medizin, die unglaublich weit entwickelt ist. Wir haben Einsichten und Erkenntnisse, wir haben diagnostische und therapeutische Möglichkeiten, die weit über das hinausgehen, was der Hausarzt in früheren Zeiten zur Verfügung hatte. Nur leider haben wir bei der Übertragung all dieser wirklich zum großen Teil wunderbaren Mittel auf den einzelnen Menschen/Patienten einen Rückschritt gemacht, hin zu einem rein linearen Ursache-Wirkung-Denken, das der Realität nur in einem Bruchteil der Fälle annähernd gerecht werden kann.
Hausärzte praktizieren nicht mehr nach den alten Regeln der ärztlichen Kunst, täten sie das, würden sie pleite gehen, außerdem wird diese Kunst auch kaum noch gelehrt
(angefangen bei der Pulskontrolle, siehe ein Eintrag weiter vorn).
Die Übertragung der uns mittlerweile zur Verfügung stehenden, wirklich großartigen evidenzbasierten Therapierichtlinien, scheitert am Fehlen der eigentlich ärztlichen Leistung, nämlich der intelligenten, alle individuellen Faktoren des jeweiligen Patienten mit einbeziehenden, die Therapie falls nötig modifizierend anpassenden Übertagung auf den Einzelfall.
Eben daran, was man unter einer ganzheitlichen Medizin im besten Sinne des Wortes verstehe würde.
(Warum unter diesem Begriff all dieser esoterische, bei Vollmond gepflückte Klingklangkristallwallewallehokuspokus subsumiert wird, ist mir nach wie vor ein Rätsel.)
Und wenn ich mal so über meinen Tellerrand hinweg schaue, dann kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass genau dieses lineare, rein kausale Denken eines der Hauptprobleme in unserer doch mittlerweile eine wenig komplizierter gewordenen Welt ist.
Ich schäme mich manchmal richtig, wenn ich aus der Verwandtschaft höre, welchen Scharlatanerien sie aufsitzen.
Die Schwägerin verfügt über ein fundiertes Viertelwissen in Naturheilkunde und Homöopathie. Das führt dazu, dass sie und der Heilpraktiker einem die Welt erklären und die Kinder merkwürdige Behandlungen über sich ergehen lassen müssen. Das schlimmst war, als der Kleine begann, den Kopf zu drehen, als man ihn ansprach. Meinem Eindruck nach hörte er einfach schlecht, war auch immer ganz schlapp und müde.
Nach meiner Intervention ging sie zum erwähnten Heilpraktiker, der ihm irgendwelche Pilze aus dem Darm entfernte. Das Kind wurde noch schlaffer, aß nichts und und wurde richtig apathisch. „Pilze“ sagte der Heilpraktiker.
Nach einem halben Jahn ging sie dann , auch auf mein Drängen, zum HNO-Arzt. Der faltete erst mal die Mutter zusammen, das Kind hatte chronische Mittelohrentzündung und die Stirnhöhlen waren komplett vereitert. Nach den ach so verhassten Antibiotika wurde er wieder munter und wuchs. Allerdings kann er kaum noch hören.
Am liebsten hätte ich die Mutter und den Heilpraktiker an die Wand geknallt…..
Ach ja, mein Vater nimmt jetzt auch die Pillen , die die Putzhilfe mitbringt.
Im übrigen ist da auch keine Packungsbeilage mehr da…..
Mangelnde Compliance nennt man das, aber das weißt du ja….
wie man sieht ist die medizinische versorgung eh glücksache. da kann man auch die pillen von der nachbarin von tante käthes onkel schlucken, die damals der katze so gut geholfen haben.
Croco so etwas ist furchtbar. Mir ist ein Fall bekannt, in dem hat eine Mutter die Mittelohrentzündung ihres Kindes genau so mit genau gleichem Erfolg „behandelt“. Und nicht nur das: Auch das Schielen des Kindes wurde aktiv übersehen, bzw. mit Kügelchen beschossen, mit dem Erfolg, dass das Kind jetzt nicht nur auf einem Ohr taub, sondern auch auf einem Auge blind ist.
Auch hier haben die Verwandten versucht, die Mutter zu überzeugen, das Kind doch mal beim Arzt vorzustellen, als sie es durchgesetzt hatten, war es leider für Hör- und Sehkraft zu spät, wenigstens ist das Kind nicht an einer Sepsis oder einer Meningitis verstorben.
Für mich ist das ganz klar ein Fall von Körperverletzung, vielleicht auch Kindesmisshandlung. Da sich diese Fälle aber in nach außen wohlgesitteter Umgebung abspielen – Vater meist Akademiker, und Mutter hätte ja eigentlich Medizin studieren können, das war ihr aber zu „langweilig“ („aber Hasi, zum Studieren braucht man doch Abitur…“), aber sie weiß auch ohne Studium ohnehin alles besser – greift hier das Jugendamt nicht ein, wie es es vielleicht bei der alleinerziehenden Hartz-IV-Empfängerin machen würde, wenn bei ihrem Kind über längere Zeit der Eiter aus Nase und Ohren laufen würde.
Und das mütterliche Verhalten gehört wohl auch eher in den psychiatrischen Formenkreis, nur frage ich mich immer, wo sind in dem Moment die Väter, (die in allen Fällen die mir bekannt sind in häuslicher Gemeinschaft mit Mutter und Kind leben)?
Denen muss doch auch auffallen, dass mit ihrem Kind irgendetwas nicht in Ordnung ist? Warum schnappen die sich nicht das Kind und stellen es mal beim Arzt vor? Das ist schon auch unterlassene Hilfeleistung.
Ich kann Deinen Zorn jedenfalls sehr sehr gut verstehen, Croco.
Bei den, die Medikamente rotieren lassenden Alten bin ich da schon etwas nachsichtiger. Die meisten von ihnen haben ja zumindest eine gewisse Einsicht und wenn nicht, dann schaden sie wenigstens nur primär sich selbst.
Auch bei den sich selbst esoterisch behandelnden Erwachsenen sehe ich die Sache nicht so eng. Da versucht man halt zu überzeugen, einmal, zweimal, dreimal, meinetwegen auch ein viertes Mal, wenn dann keine Einsicht kommt, dann werden sie entweder zum Psychologen geschickt oder, wenn sie auch das nicht wollen, sollen sie halt machen.
Aber sobald sich an Schutzbefohlenen – wozu auch nicht mehr ganz urteilssichere, alte Menschen zählen – ausgetobt wird, werde ich genau wie MiniMoppel zur rasenden Wildsau.
Marion, in gewisser Weise kann ich das Argument nachvollziehen…
…aber nur in gewisser. ;-)
(Der Arzt wird einem vielleicht wenigstens nicht das Prostatamittel gegen die Nebenhöhlenentzündung verschreiben. Und wenn doch, dann bekommt er Ärger von wegen Off-Label-Use und so.)
ich kenn leute, die sind so hypochondrisch veranlagt, die schleppen ihre gesunden kinder so lange und so oft zum arzt und haben schon sachen machen lassen, das ist genauso eine schlimme kindesmißhandlung wie die oben beschriebene. eltern sind auch glücksache leider. und als außenstehender da eingreifen ist schwierigiger als bei prügeleltern zum beispiel.
Eltern sind Glücksache, Du sagst es! Als Außenstehender kann man da fast nicht eingreifen, wie ja auch die Beispiele hier zeigen, aber die Väter…
…die Väter sollten doch keine Außenstehenden sein.
Sollten, Ja okay, das ist auch wieder so ein frommer Wunsch, ick weeß, gerade ich müsste das besser wissen…
die ham keine zeit, die müssen geld ranschleppen und abends sind die müde und wer weiß was denen die dame alles so erzählt was sie angeblich alles macht.
Ach, na klar: Die haben mit dem Ranschleppen des Geldes ja auch ihre Schuldigkeit getan.
Hey, Moment mal, schleppen Du und ich nicht auch das Geld ran? Ach Marion, irgendwat machen wir falsch, wa?
Aber es stimmt schon, das ist vermutlich so etwas wie Co-Alkoholismus.
Oder Mann will da einfach die Annehmlichkeiten, die so eine Hausfrauenhaltung mit sich bringt, nicht missen und da kann Mann denn schon mal die Augen ganz ganz fest zumachen, gelle? Gibt es ja durchaus auch umgekehrt, bei anderen Arten der Kindesmisshandlung.
Pfui Deibel, ick werd zynisch – die Wildsau, die rasende halt.
Was ist denn nun im Alter besser? Soll ich die Pillen lieber verstecken oder lieber schlucken, wenn ich mal alt werden sollte? Ich habe in den letzten zehn Jahren insgesamt so etwa vier Tabletten Aspirin und jeden Winter meine Dosis »Sinupret« (das besteht aus Kräutern, Alkohol und Wasser) genommen;-)
wir machen höchstens falsch, immer alles perfekt machen zu wollen und zwar nicht 1 job sondern 4-5 gleichzeitig und perfekt. das ist irgendwie pathologisch. und ich habe mein kind nich zum kinderarzt geschleppt, obwohl sie schon seit 3 wochen heftig hustet und „rotzt“ und habe ihr nur nasentropfen und schleimlöser verabreicht. soviel zu rabenmutter. gerechte strafe ereilte mich jetzt . gute nacht. muss ins bett, ausschwitzen ;-)
Stefanolix, wenn es so weit ist, jemanden fragen, der sich damit auskennt. ;-)
Marion, nix Rabenmutter! Ich bin fest davon überzeugt, dass Du Dein Kind genau im richtigen Moment zum Arzt schleppen würdest. Und viel mehr als Nasentropfen und Schleimlöser würde der bei Husten und Rotz ausser Nase und nicht aussem Ohr und ohne Fieber und ohne Giemen (hoffentlich) auch nicht machen. Aber Nasentropfen und Schleimlöser sind in den Fällen die ich meine ja auch schon des Teufels!
Und nochmal: Jute Besserunck, wa!
nöö, und fit wie 2 turnschuh. hüpft lustig umher. sie hatte noch nie was am ohr zum glück und fieber hatte sie auch nicht und kein giemen. das bin ich im moment.
ja und ich besser mich schon, hör auch auf zu jammern :-)
Pardon, aber: Hausärzten gegenüber, auch solchen alter Schule mit langjähriger Erfahrung, bin ich skeptisch geworden. Begonnen hat das mit einem auf den ersten Blick vorbildlichen Exemplar: freundlich, verständnisvoll, erklärt, rät auch mal zu Abwarten und Kräutertee, macht Hausbesuche. Sehr kompetent bei Schnupfen, Grippe, Zerrungen, Rippenbrüchen und Blutarmut. Ansonsten scheint er noch die Diagnosen „Asthma“, „Magersucht“ und „Depression“ zu kennen. Unter die subsumierte er bei einem Patienten Symptome, die sich schliesslich als Zeichen folgender Krankheiten entpuppten: Lungenentzündung; schwere Herzinsuffizienz; insulinpflichtiger Diabetes; schwere Niereninsuffizienz; NPH (inklusive seit Jahren bestehender, offensichtlicher Gangunsicherheit, Inkontinenz und Demenz).
Alle diese Krankheiten traten bei der selben Person auf, nacheinander und kein einziges Mal von Hausarzt erkannt, obwohl er wegen der Symptome aufgesucht worden war. Statt einer Untersuchung gab es einen Inhaler, nette Worte, Baldriantropfen und das Angebot einer Gesprächstherapie. Wenige Tage später fuhr man dann jeweils ohne Umweg über ihn ins Krankenhaus. Dort waren es junge Ärzte, die die Krankheiten erkannten. Ihre erste Frage war jeweils, weshalb man erst jetzt komme, die Schäden hätten bei rechtzeitiger Diagnose und Behandlung begrenzt oder gar verhindert werden können. Ein entsprechendes Gutachten wollte aber keiner erstellen, der Hausarzt sei der Sohn einer Koryphäe und habe selbst den Ruf, ein ganzheitlich denkender Mediziner zu sein.
Dem Kind dieses Patienten verschrieb er Kamillentee und Johanniskraut, neigt ja zur Schwermut, die Familie, gegen etwas, das sich zwei Wochen später als Magen-Darm-Geschwür entpuppte. Später teilte er ihm mit, so eine Narbe nach einer OP sei eben schmerzhaft, man solle Salbe auftragen. Im Krankenhaus entdeckte man dann einen vergessenen Tupfer.
Beim anderen Kind entdeckte unser Koryphäensohn Magersucht und, was auch sonst, Depression und gab das natürlich auch an den neuen Hausarzt weiter, damit der sich schon mal auf den schwierigen Patienten einstellen kann. Der übernahm das ohne weitere Untersuchung. Es war eine wiederum junge Assistenzärztin, die sehr eindringlich zu Bestrahlung und Chemo riet.
Tschuldigung für 1. Länge und 2. anonym. Ich hoffe, Sie verstehen letzteres.
Ja, das ist ein Problem, das ich durchaus kenne, bin ich doch jahrelang als Bereitschaftsarzt unterwegs und musste auch und gerade in dieser Funktion nur allzu oft die Versäumnisse der hausärztlichen Kollegen versuchen zu beheben.
Ich habe da oben den Idealfall der hausärztlichen Versorgung versucht zu beschreiben, dass die Realität – gerade heutzutage – meilenweit davon entfernt ist, will ich gar nicht in Frage stellen. Das ist einfach so und es wird immer schlimmer. Der Hausarzt meiner Mutter hat, als ich sie mit ihrem frischen Infarkt dort vorstellen musste
(eine direkte Vorstellung in der Notaufnahme oder gar den NAW wollte sie partout nicht akzeptieren und dieser Kompromiss war die einzige Möglichkeit, an ein EKG zu kommen, denn ihre Symptome waren alles andere als eindeutig, auf der anderen Seite hätte noch mehr Aufregung unter Umständen den Supergau bedeutet)
, starrte minutenlang auf das auf dem Bildschirm seines PCs abgebildete frische Infarkt-EKG. Als ich dann um den Schreibtisch herumgegangen bin und ihm knapp HI geflüstert habe, hat er eine Einweisung in die Klinik drucken lassen – mehr nicht. HALLO?Also, ich weiß genau, was Sie meinen.
Man könnte ferner den Eindruck haben, dass auf der hausärztlichen Seite eine Art negative Auslese stattgefunden hat. Ist halt kein sehr prestige- und noch weniger kohleträchtiges Fachgebiet, was eine Katastrophe ist, denn genau an dieser Stelle werden – wie Sie ja so treffend beschreiben – die wichtigsten Entscheidungen getroffen. Und so tummeln sich da, wo früher wirklich handfeste Kollegen über ein profundes Wissen verfügten
(ich erinnere mich an "unseren" alten Hausarzt, dem selbst die seltensten Neben- und Wechselwirkungen der Therapien vollkommen geläufig waren und der mich, als ich dann schließlich selbst vor der Approbation stand, immer wieder zutiefst beeindruckt hat)
zunehmend irgendwelche (sorry!) psychoangehauchten Quacksalber(auch und gern spätberufene)
, denn mit den „alternativen“ Heilmethoden lässt es sich ja trefflich IGeLN.Dabei sollte das hausärztliche Gebiet eigentlich die Königsdisziplin der Medizin sein. Nirgendwo anders muss man so viel diagnostisches Gespür auf der Platte haben, wie dort. Wobei man die Abstumpfung, die einen Hausarzt ereilt, wenn er tagtäglich jammernde alte Damen
(seltener Herren, die saufen eher in einer solchen Situation oder rauchen sich die Lunge kaputt oder sind eh schon verstorben)
behandeln muss, die mal unter Rückenschmerzen, mal unter ein wenig Schwindel, im Grunde aber unter ziemlich viel Einsamkeit leiden, nicht unterschätzen sollte!Wie dem auch sei, dies ist ein außerordentlich vielschichtiges Problem und ich wollte mitnichten in Abrede stellen, dass es auch fitte Assistenzärzte gibt. Klar gibt es die!
(Ein paar zumindest ;-) )
Aber auch die fittesten Assistenzärzte wissen meist nicht, wie es den Patienten in ihrer Häuslichkeit ergeht. Die Schnittstellenproblematik ist da gewaltig und so wird zu einem gar nicht geringen Teil in eine ambulante Betreuung entlassen, die überhaupt nicht existiert.Sie sehen, es gibt viel zu tun. Packen wir’s an. ;-)
off topic: wir sind am sonntag in regensburg. läuft eure ausstellung noch? wenn ja, wo war das? und was ist unbedingt empfehlenswert, wenn man nur so ca. drei/vier stunden in dieser stadt zeit hat (ach ja, ich mag auch schönen kuchen :o) )?
Ja Su, die Bilder hängen noch und zwar im
Cafe Pernsteiner
(Unten auf der Seite sind unsere Bilder auch vermerkt.)
Und die Torten! Die sind noch viel besser, als unsere Bilder! Und die Schoki! Sehr empfehlenswert die neue Kreation mit Oliven. Klingt erstmal komisch, ist aber sehr sehr lecker. Und sonst noch, hm, am Sonntag, vielleicht, je nach Wetter, ein Spaziergang an der Donau. Die ist gar nicht weit vom Cafe entfernt.
Viel Spaß, guten Appetit und schöne Grüße an den Chef des Hauses und den Herrn Josef (das ist der wienerischte aller oberpfälzer Kellner, die ich je gesehen habe :-) )
Ach, Frau Pepa, über die eisschachtelgroße Medikamentenkiste meiner Mutter möchte ich jetzt gar nicht allzulange nachdenken, ich glaube, ich muss darüber nochmal selbst extra schreiben. Meine Mutter ist ja nun tot und ob es ein Mix aus Vorerkrankungen, Medikamenten, Unaufmerksamkeit oder eben einfach nur das Ende des Lebens war, ändert daran nichts.
Mir ist selbst etwas passiert im Sommer (also vor Mamas Tod), was mich schier entsetzt hat. Wegen Blutdruckkontrolle mal wieder bei der jungen Hausärztin in der kleinen Stadt gewesen. Das Hausärztinnen-Trio aller Altersstufen hat mich schon aus ganz vertrackten Situationen korrekt herausdiagnostiziert und behandelt und sagt auch manchmal ganz klipp und klar, dass so ein Mensch ein sehr komplexes Wesen sei und nicht alles erklär- und behandelbar sei, womit ich sie sehr glaubwürdig fand. Also, jedenfalls die jüngste, in Ausbildung zur Allgemeinärztin befindliche, nimmt sich Zeit (wie übrigens jede von den dreien!) und fragt, wie’s denn sonst so gehe und ich sage, ach ja, ziemlich erschöpft, der Urlaub sei schön und nötig gewesen, aber ich eben doch manchmal niedergeschlagen und groggy, wie’s denn eben so sei nach sehr langen Belastungsphasen. Und die Schlafstörungen seien eben auch nicht schick des nächtens, aber okay, die Angstsymptome kenne ich schon und wäre doch schön, wenn’s irgendwann mal wieder besser wäre, auch das mit dem Unausgeschlafensein morgens. Aber, wie gesagt, alles gute alte Bekannte von mir.
Die junge Ärztin drückt mir ohne Umschweife ein trizyklisches Antidepressivum in die Hand, das habe ihr der Psychiater am Ort auch empfohlen und diese Tropfen würden dafür sorgen, dass ich wieder durchschlafen könne ohne aber abhängig zu machen, im Gegensatz zu Schlafmitteln. Wenn ich das abends um sechs nähme, hätte ich auch keinen Hangover und auch die jungen Mädchen, die vor Schulprüfungen stünden, nähmen das und nach ein paar Wochen wäre es schon alles viel besser.
Ich war sooo perplex und sprachlos und fühlte mich nach dieser Express-Diagnose sooo sprachlos, dass ich das Ding erstmal eingesteckt habe. Die Freundin Diplompsychologin angerufen, die Freundin Ex-Krankenschwester auch, beide entsetzt ob der Leichtfertigkeit der jungen, bestimmt wirklich wohl meinenden, Ärztin. „Wirf das bloß weg, das nimmst du nicht, du hast ganz normale neurotische Macken, wie wir alle, nicht mehr, nicht weniger!“, lautete die unmissverständliche Ansage von Freundin Psychologin. Das habe ich dann auch gemacht, schließlich wirken solche Dinger erst nach Wochen und Wochen und sind ein Eingriff in den Hirnstoffwechsel und die Nebenwirkungen?
Beim nächsten Ärztinnenbesuch werde ich da schon noch was zur Leichtfertigkeit sagen und übrigens jetzt, wo meine Mutter vor einigen Wochen ja sehr plötzlich gestorben ist und ich allen Grund hätte, von Belastung zu sprechen, schlafe ich ermattet durch und bin allenfalls etwas schnupfig. Ich denke, solche Medizin sollte man wohl auch besser dem Fach-Dottore zur Verordnung überlassen und nicht zwischen Brusttee und Aspirin mal eben als Probepack überreichen. Ich mag mir gar nicht vorstellen, was die Ärztin mir jetzt andienen würde, wo ich in einer objektiv belastenden Situation bin.
Und das Schlimmste daran finde ich, die Unbesorgtheit, mit der offenbar solche Dinge Jugendlichen, womöglich auch Kindern, übergeholfen werden. Problem, Knopfdrück, Pille rein, Problem aus? So einfach kann das wohl nicht sein. Prüfungsangst und Pille rein? Welches Bild wird da vermittelt? Du bist nicht okay, du musst aber was einwerfen, dann ist Problem weg. Wie sollen junge Leute denn später mit wirklichen Schwierigkeiten klarkommen? Und für nicht alles im Leben gibt es Pillchen und Tinkturen!
Ich habe danach beruhigt ein Gespräch mit der Homöpathin geführt, drei homöopathische Kügelchen genommen, mich über den womöglichen Placeboeffekt für gutes, privat bezahltes Geld gefreut. Ach ja, ich bin übrigens kein Feind der Tabletten und schulmedizin oder gar Forschung, ich weiß, dass ich meine Muskelblockaden besser mit Schmerzmitteln auflöse, um mich überhaupt erst mal wieder bewegen zu können und ich bin sehr froh, dass meiner Freundin mit sehr schlimmem Rheuma mit Genforschungsmedizin und „Hamstereiern“ zumindest passable Linderung verschafft werden kann.
Sorry, Pepa, dass du alles nun alles lesen musst. Aber das musste ich mal runterschreiben und ich glaube, hier ist es auch besser aufgehoben, als bei mir zu Hause Blog.
Indica, das ist in der Tat unglaublich, nur fürchte ich, dass das sehr viele Hausärzte genau so handhaben, sind mir doch in den letzten Jahren zunehmend gerade junge Frauen bekannt, die mit Psychopharmaka zugeschüttet werden, als sei das ein bisschen Pfefferminztee.
Gerade in Migrantenkreisen gibt es – es überdurchschnittlich zu nennen wäre fast untertrieben – viele Frauen, bei denen das kulturelle Spannungsfeld mit Antidepressiva behandelt wird. Die Sorglosigkeit mit der hier hochpotente und nebenwirkungsbehaftete Pharmaka verschrieben werden und diese dann auch noch als vollkommen harmlos aufgeklärt werden, grenzt an Kunstfehlertum.
Ein mittlerweile primär psychotherapeutisch arbeitender Psychiater und Neurologe, also einer mit durchaus profunder Ausbildung in diesem Fachgebiet, hat mir einmal gesagt, dass er sich an eine Einstellung mit Antidepressiva nie selbst heran wagen würde, sondern immer an einen pharmakologisch therapierenden Kollegen überweisen würde, weil das einfach unglaublich viel Erfahrung und noch mehr Kenntnisse der Stoffgruppen und deren potentiellen Nebenwirkungen im Einzelfall erfordert.
Einem Magendurchbruch therapiere der Hausarzt schließlich auch nicht auf dem Küchentisch.
Und wie Du schon sagt, gerade diese Eingriffe in den Hirnstoffwechsel sind mehr als heikel und bereits außerordentlich beliebt, Schulkinder zum Funktionieren zu bringen. Gerade neulich hat ein Arzt
(ich glaube es war ein Kinderarzt, beschwören könnte ich es jetzt nicht)
ganz frank und frei öffentlich zugegeben, Klein- und Schulkinder mit Psychopharmaka zu behandeln, die für diese Altersgruppe gar nicht zugelassen sind. Er regelte die auffällig gewordenen Kids damit so weit runter, dass sie für ihre Eltern problemlos zu handeln waren. Zumindest einen Regress wegen Off-Label-Use hätte ihn erwarten müssen, denn wo zufriedene Eltern, da ist auch kein Kläger…Gut, dass Du das mal runtergeschrieben hast Indica, es ist ein so enorm wichtiges Thema.