Als ich einmal dem demographischen Wandel begegnete


Zwei Wochen Weiterbildung liegen hinter mir. Zwei Wochen Sozialmedizin, zwei Wochen, in denen mindestens fünfmal am Tag das Wort „Demographischer Wandel“ fiel, ein Schreckgespenst, heraufbeschworen, beängstig und besungen. Je nach Fachgebiet und Blickwinkel, alte Menschen, die hochbetagt an Fabrikmaschinen stehen müssen und wie man sie rehamäßig in Hestersform bringen kann, versus die Pflegeversicherung aussaugende, von osteuropäischen Billigpflegekräften gewindelte Alterskranke. Alles unausweichlich. Alles schrecklich. Alles in nächster Zukunft.
Bereits am nächsten Tag dann begegnete es mir. Das Grauen, das Gespenst: Der Demographische Wandel.
Ich stand mitten drin, und was soll ich sagen?
Der Demographische Wandel erzählte sich schmutzige Witze, über die er dreckig-heiser lachte. Er iwar in der überwiegenden Mehrheit weiblich, hatte lila-grau gefärbte Haare und Funktionsjacken in dezentem Beige über bunt geblümten Polyester-T-Shirts.
Und er war zahlreich.
So zahlreich, dass er einen ganzen S-Bahnhof und nachfolgend einen kompletten Zug füllte. Allerdings wirkte er, so wie er sich mir da im Moment präsentierte, weder erwerbstätig noch pflegebedürftig.
Nur beängstigend.
Was war ich froh, als ich mich dann endlich wieder der jungen Generation zuwenden konnte – der jungen Generation, die später den Demographischen Wandel finanzieren und ihm den Hinter wischen soll….

…. ihn aber vorerst in Grund und Boden jazzt.

[Nachtrag]
Sehe gerade, dass der Frau Nessy auch der demographische Wandel begegnet ist. Nur kann sie viel schöner über ihn schreiben, als ich es vermag.


19 Antworten zu “Als ich einmal dem demographischen Wandel begegnete”

  1. In Hesters-Form? In der Reha? Das ist ja furchtbar! Der arme Joopie sieht seit ein paar Jahren so ausgestopft aus, wenn er zum Auftritt auf die Bühne gezurrt und gegen das Klavier gelehnt wird. Ich kann mich auch des Eindrucks nicht erwehren, daß er dort oben, auf den Brettern, die die Welt bedeuten, nur noch im Playback-Modus funktioniert. Schlimm, das hat er nicht verdient, auch wenn seine Musik und seine Filme nicht meinen Geschmack treffen.

  2. Naja, Rente ab 67 – 70 – 80? Da wird noch so manch einer wie ausgestopft in seiner Fabrik festgezurrt werden wollen. ;-)
    Und manchmal habe ich den Eindruck, dass nicht nur die Bretter, die die Welt bedeuten sollen, sondern eigentlich die ganze Welt nur noch im Playback-Modus funktioniert.

    (Sorry, bin gerade von einer auf dem Standesamt promovierten Lehrersgattin in einer dummdreisten Art und Weise angemacht worden, in der selbst in meiner Assistenzarztzeit mein Chef nie gewagt hätte, mit mir umzuspringen. Bin noch am überlegen, wie ich reagieren soll. Genauso doof finde ich unangemessen, aber schon einen Hauch subtiler wird nicht verstanden. Wie ich vorhin gesehen habe, hast Du gerade ähnliche Probleme ;-) )

  3. ein ex-chef von mir pflegte zu sagen: kann mich bitte jemand rechtzeitig erschiessen.

    meiner tochter empfehle ich immer den kombinierten einsatz eines kübels schmierseife und einer steilen stiege. man muss vorausdenken – maiglöckchensuppe ist ja nachweisbar.

  4. Hm Creezy, dann müssen sie die Hirnschrittmacher wohl größer bauen, also, traumatischer, wa? ;-)

    Ach, Frau Kelef! Wollen wir nicht lieber zusammen eine Alten-WG aufmachen und mit unseren Elektrorollstühlen Rennen auf dem Flur fahren. (Junge Zivis zum Erröten bringen können wir später ja nicht mehr – gibt ja keine Zivis mehr…;-) )
    Neulich sah ich einen Bericht aus einer Dementen-WG im Fernsehen. Da lachte sich eine alte Dame (und ich meine wirklich „Dame“) zusammen mit einer anderen, ebenfalls Dementen darüber schlapp, dass sie nicht mehr wußte wie alt sie ist. „Weiß ich einfach nicht. Nee, ich weiß es wirklich nicht. Aber ich weiß mein Geburtsdatum. 1921. So, rechnen dürfen sie jetzt alleine!“ Das fand ich sehr ermutigend. (Okay, später geht dann auch das nicht mehr.)

  5. Au ja, Wendelbald!!! :-)
    Könntest Du mir bitte vorher ein paar Fahrstunden geben? Wie ich mich kenne, lande ich sonst direkt irgendwo, wo ich nicht landen sollte – unterm Herd, oder im Putzeimer der Reinigungskraft, oder so.
    Und was die 7 1/2 km/h angehen – vielleicht finden wir ja einen Schrauber, der uns die Dinger ein wenig, äh, tunen könnte? Ich meine, so 30 Sachen müssten schon drin sein, so übern Flur, was meinst Du?

  6. Ja, Pepa, da hast Du recht. Da muß ich mal mit dem Schraubendreher beigehen … hah! Ein EPROM auf einem Stecksockel. Wie altmodisch. Muß ich mal in meiner Elektronik-Grabbelkiste schauen. Aha, wußte ich es doch. Da hab‘ ich doch was zum Auslesen, einen EPROM-Löscher und einen EPROM-Brenner Ah ja, interessant. Vier Fahrstufen sind da. Das korrespondiert auffallend mit dem Display am Ende der Armlehene. Bei 3, 4, 5 und – im vierten Gang – 6 km/h – ist Schluß. Der Tacho läuft also wie bei fast allen Kraftfahrzeugen etwas vor. die 7,5 km/h sind grob übertrieben. Das ist ja armselig. So, britzel, britzel, lösch und brenn, klick, klack, zack, fertig. Wendelbald proudly presents: The Rollstuhl-Hack. 15, 20, 25, 30, hoffentlich werfen die Fahrmotoren ihre Ankerwindungen jetzt nicht ab, rumms, radengel, patsch, auer. Vielleicht ist er jetzt doch ein wenig schnell für Innenräume. Wie wäre es mit Fahrstunden auf der Michael-Schumacher-Kartbahn?

  7. Hihiiiii!!! Sehr cool!!!
    Ich denke, Deine Zählerinnen musst Du ab jetzt nicht mehr mit Spinnen beeindrucken. Ein kurzer Flug über den Flur dürfte deutlich mehr Wirkung zeigen!
    Du musst mir aber bitte versprechen, ab jetzt nur noch mit Helm zu fahren. Okeeh?
    (Integralhelm. Mattschwarz. Mit verspiegeltem Visier, oder so. Was meinst Du?. ;-) )

    Und Michael-Schumacher-Kartbahn? Sehr gern. Bin ich dabei. :-)

  8. Och Pepa … mit Helm? Das ist noch nur was für Weicheier und Lord Helmchen Darth Vader. Da ist doch gleich mein ganzes Image als harter Rocker weg. Und außerdem hängt mir der Beirat doch sowieso schon auf der Pelle. Gerade wird auf einem langen geraden Gang mit einer von der Polizei ausgeliehenen Laserpistole die Geschwindigkeit von Opa Bräsig mit seinem Hardcorerollator (die Steinzeit-Variante, die es schon vor der Erfindung des Rades gab) ausgemessen. Nach einem normalen Frühstück mit Pfefferminztee kam er auf 0,5 km/h, aber nachdem er einen tiefblauen Powerdrink aus dem Supermarkt intus hat, läuft er schon sagenhafte 0,75 km/h. Er sondert dabei jedoch ganz merkwürdige Geräusche ab, wie eine Dampflok mit einer defekten Kolbendichtung. Und kräftig ölen tut er auch. Trotzdem muß ich ihn jetzt noch einmal anfeuern. Er soll nämlich der Maßstab für die neue Geschwindigkeitsbegrenzung auf den Gängen in Wohnbereichen sein.

  9. Na gut, ja, okay… kein Integralhelm.



    Aber vielleicht so einer hier?

    Und die Steinzeitvariante Rollator ohne Räder, ähm, wie sieht sowas aus? *zückt den Verordnungsblock*

    Aber sag mal, 0,75 km/h nach Schlumpfgetränk – hast Du es schon mal mit einem Espresso-Doping probiert? Aber Obacht! Manche älteren Herrschaften reagieren paradox auf Coffein. Nicht dass er Dir während des Rennens plötzliche einschläft, der Opa Bräsig.

  10. Ah, ein Gehbock! Dacht ich’s mir doch – das ist in der Tat Hardcore!

    Ja Nürburgring-Nordschleife! E-Rollstuhl-Fahrstunden dort sind viiieel besser, als das Angebot, dort als Notarzt für 10 Euronen die Stunde zu ackern (war ich ohnehin nicht qualifiziert genug – für diese enorm hohe Entlohnung muss man nämlich nicht nur selbst seine Berufshaftpflicht löhnen, nein! Sie wollen auch einen speziell weitergebildeteten „Rennarzt“ haben – Weiterbildung selbstverständlich auch aus eigener Tasche…Nönö, ohne mich…sollen anderen rennarzten – egal…)

    Na jedenfalls YUPPIHHH, los komm Wendelbald, lass uns die Nordschleife unsicher machen! :-)

  11. Dengel, dengel, schraub und schweiß … die beiden E-Motoren habe ich gegen Benziner ausgtauscht, mit Flughöhe Null eine Probefahrt über die Nordschleife gemacht, zurück im Heim zwei Tickets bekommen (das zweite Ticket war wohl für mein loses Mundwerk, ‚Herr Wachtelmeister, das ist ein Kraftennstuhl, 0,75 km/h, ich bitte sie, werden sie realistisch‘, daraufhin wurde der Schlumpf im Gesicht farblich für einen Moment eins mit seiner Uniform und erlitt eine innere Kernschmelze, während das Gesicht tiefrot anlief und er wie ein Bulle aus den Nüstern schnaubte), also ich sehe schon, ich muß auch noch die Stealth-Technologie vom US-Militär verbauen, die das Teil unsichtbar macht, hoffentlich nimmt der Lieferant den Rollstuhl später noch zurück, der ist nämlich nur ausgeliehen. Und watt wird datt für’nen Späßken, wenn irgendson armes Würstchen von Krankengymnast einer vom Schlag getroffenen Omma klarmachen muß, wie sie sich auf einen unsichtbaren Stuhl setzt und daß sie das Gaspedal am besten nur mit dem kleinen Zeh vorsichtig streichelt.
    Ach ja, das mit der Rennarztausbildung verstehe ich jetzt. Aber ganz ehrlich, mit ’ner schweren Lachgasflasche auf dem Rücken und einem Sortiment schwerer Spachtel in der Tasche mit der Geschwindigkeit eines hungrigen Löwens über die Piste zur Unfallstelle zu sprinten, um die Überreste von verunglückten Kraftrennstuhlpiloten vom Asphalt zu kratzen, braucht es viel Übung ;-)

  12. Och, ich denke, so mancher Omma würdest Du mit einem solchen Gefährt eine Riesenfreude bereiten.
    Man stelle sich nur vor, wie die alte Dame ihre sie soeben besucht habenden, gerade Heim fahrenden Erbschleicher winkend und eine lange Nase zeigend auf der linken Spur der Autobahn überholt.

    Du meine Güte, was fabriziere ich denn hier für Sätze – aber Du verstehst mich schon, wa Wendelbald? ;-)

  13. Ja, im deutschen Motorsport ist man verwöhnt, Sicherheit ist das, was Fans unentgeltlich als Ehrenamt machen. Vor rund 40 Jahren wurde da so ein Ding namens ONS-Staffel gegründet (heißt heute anders, Name fällt mir gerade nicht ein), die auch heute noch ehrenamtlich die Rettungsstaffeln bei Rennen auf deutschen Rennstrecken stellen.

    Insofern sind 10 Euro/Stunde eher als Verzehrgeld zu verstehen und die Rennarzt-Fortbildung sollte für den echten Fan pures Vergnügen sein. Kohle machen im Rennsport die anderen.

  14. „Kohle machen im Rennsport die anderen.“
    Ja, und wohl nicht zu knapp.
    Ich denke, es finden sich unter den Kollegen auch immer wieder Fans, die das für ein Verzehrgeld machen. (Wie sich überhaupt unter den Notärzten oftmals wirklich nette Menschen (und das meine ich jetzt nicht ironisch) finden, die auch für’n Appel und ’n Ei arbeiten.) Nur offenbar nicht immer und nicht immer genug.

  15. Ich hätte wohl noch dazu schreiben sollen, dass ich es absolut mies finde, wenn in einem Milliardengeschäft auf die Gutmütigkeit von Fans gesetzt wird. Wer Leistung will soll dafür anständig zahlen.