Heute


vor zwanzig Jahren schob ich Spätdienst auf einer Intensivstation.
Da dort die Atmosphäre ohnehin recht surreal ist, nahm ich lediglich freundlich interessiert zur Kenntnis, was gerade ein paar Kilometer weiter passierte, so: Ach, guck an!
Und habe weiter gearbeitet.


9 Antworten zu “Heute”

  1. Ja, auf der Intensiv verschieben sich Prioritäten und Gewichtungen gewaltig.
    Und dennoch kommt es mir aus der zeitlichen Entfernung merkwürdig vor, dass ich das damals so weit entfernt, entrückt wahrgenommen habe.

    Ich finde, unsere Erlebnisse korrespondieren irgendwie recht gut.
    (Ist ja nicht die einzige Synchronizität, wa? ;-) )

  2. Heute vor 20 Jahren war ich weit weg und während ich kurz mal in die andere Richtung guckte, hat jemand hinter meinem Rücken das Land umgekrempelt. So fühlte sich das jedenfalls an, als ich nach einem Jahr Auslands-Studium zurück kam …

  3. Vor 20 Jahren war ich gerade arbeitslos geworden, ohne Aussichten auf einen neuen Job in dem Beruf, in dem ich damals noch tätig war. Also stand mir gerade eine Umschulung bevor, bei der ich nie bereut habe, dass ich sie durchgezogen habe. Ich stand also auf der Straße, eine neue Ausbildung vor mir, eine völlig andere berufliche Laufbahn, und außerdem passierte viel in diesem Land.

  4. Ich denke noch gerne an die Tage zurück. Donnerstag vor dem Fernseher – Freitag abend wollten wir bei Helmstedt mal an der Grenze schauen und sind aber nach Berlin durchgefahren. Das kleine Stück Mauer, was ich herausgeschlagen habe, liegt immer auf dem Schreibtisch. Eigentlich wollten wir um 10 Uhr morgens wieder zuhause sein, aber um 11.11 haben wir an der Tankstelle an der A2 Sekt mit Mageburger Familien aufgemacht. Von dort waren es noch 10 Stunden bis Wolfsburg. Auch der Sonntag in Wolfsburg ist mir noch in Erinnerung. Die ganze Stadt voller Trabbis. Die Magdeburger Familie habe ich aber wieder aus den Augen verloren aber Montag haben wir durch die Auskunft wieder eine Telefonnummer auf jenen Namen gefunden und uns gegenseitig gefreut, an diesen Tag zurückdenken zu können.

  5. Das ist eine sehr schöne Geschichte – so ganz im Kontrast zu unseren distanzierten Erlebnissen.
    Habe ich das richtig verstanden, dass Du gerade vor zwei Tagen mit den Magdeburgern telefoniert hast, mit denen Du vor zwanzig Jahren angestoßen hast?
    Ja, wie cool ist das denn! :-)

  6. So ungefähr. Den genauen Vorgang zu beschreiben, war mir zu kompliziert. Vor zehn Jahren hatten wir es auch schon mal vor, aber da die Magdeburger, meine Freundin und ich allesamt umgezogen waren, findet man nicht immer die richtigen Nummern. Montag haben angerufen, aber es gab nur einen AB, auf dem wir unsere Telefonnummern hinterlassen haben. Lutz hat dann am nächsten Tag bei meiner Freundin angerufen und sie hat heute mir davon erzählt.
    Zumindest im ersten Jahr hatten wir noch engen Kontakt, ich war dort auch zu Geburtstag und Einschulung eingeladen. Gerne zeige ich auch meine Urkunde von dem Volkslauf zu Ostern 90 mit Hammer und Sichel. Der Kaktus, den sie mir im März 90 mitgebracht haben, steht immer noch im Blumenfenster.

  7. Es ist so unglaublich, was man alles nicht voneinander weiß. Bruder. Ich war ja weit weg in Wien bei Wien modern und habe deep space gesehen und ein Stipendium bekommen. Aber ich war auch so intellel, dass ich selbst damals nicht an die weiteren Folgen gedacht hätte wie Vereinigung.
    Jedoch habe ich das ganze Jahr über eifrig DDR-Fernsehen gesehen im hessischen Gießen und erstaunliche Bewegungen gesehen. An sich habe ich damals immer geglaubt, die drüben werden ihren Weg machen – und vor allem ohne die „Wessis“.

    Eine Vorahnung (ohne Ahnung) gab es, weil mein Freund Christoph und ich als Musiker an meine alte Wolfsburger Schule eingeladen worden sind. Wir sollten eine Lesung musikalisch unterbrechen, bei der Bert Papenfuß-Gorek Gast hätte sein sollen. Bis zum Beginn, war nicht sicher, ob er kommen könnte. Er konnte nicht, weil er dann in der Situation nicht durfte, da er, wenn ich ich es richtig erinnere, im Umkreis der Zionskirche war und damit wohl unzuverlässig. (Ich meine, Handy und normales Telefonieren war damals ja auch nicht.) Das war irgendwann zwischen Februar und April 89.

    Irgendwie sehr schade, dass es damals nicht zu einer Begegnung gekommen ist.

    Und heute: Vor drei Tagen an der Mülltonne jemanden aus der Nachbarschaft gegrüßt, der fragte, ob wir hier neu eingezogen wären. Ja, sagte ich. Seit wann er dort wohne, fragte ich zurück. Seit 1968, antwortete er. Woher ich sei. Aus Wolfsburg und Regensburg, antwortete ich. Ah ein Wessi, war sein Kommentar. Ich entschuldigte mich, in dem ich darauf verwies: „Aber Zonenrandgebiet.“ „Ist ja keine Schande,“ gab er zurück. Manche Gräben sind auch nach 20 Jahren noch so virulent wie ehedem, manche sogar sind tiefer, wie mir scheint.